Sehr häufig werde ich um Rat gefragt, wie Pferdebesitzer mit ihren vermeintlich dominanten Pferden umzugehen haben. Oft fühlen sich diese überfordert, weil das Pferd die Führung augenscheinlich für sich beansprucht und den „Anweisungen“ des Pferdebesitzers nicht folgt. Ein häufiges Problem ist auch, dass das Pferd sich besonders in Situationen, in denen es gestresst ist, nicht mehr auf den Besitzer konzentriert und im schlimmsten Fall dann eigene Entscheidungen, wie z. B. Flucht, trifft, den Menschen nicht „für voll“ nimmt und sich und andere Beteiligte dadurch in Gefahr bringt.

Häufig werden Tipps abgegeben, dass das Pferd die Führung des Menschen zu akzeptieren habe und es sich offenbar um ein „Dominanzproblem“ handele. Unabhängig davon bekommt man meistens den Rat, sich durchzusetzen und sei es nur, um das Pferd an die Situation zu gewöhnen. Schließlich lerne es durch die Konfrontation, dass es dem Menschen vertrauen könne, es wurde ja nicht gefressen.

Dominantes Verhalten im Herdenkontext vs. Umgang mit dem Menschen

Sieht man sich nun das Verhalten des Pferdes in der Herde, wirken Pferde die, sich durch ihr Verhalten gerne Platz verschaffen und Plätze und Futter für sich beanspruchen, auf uns Menschen dominant. Dabei handelt es sich hier zwar um „dominantes Verhalten“, weil das Tier Ressourcen für sich beansprucht, nicht aber um ein grundsätzlich dominantes Pferd. Das Verhalten der Pferde orientiert sich durchaus daran, was sich für das jeweilige Pferd bewährt (=gelohnt), doch ist es von vielen Faktoren abhängig und so verhält sich ein Pferd eben nicht „grundsätzlich dominant“.

Nichts desto trotz hat auch jedes Pferd einen ganz eigenen, geformten Charakter und so bestimmte Verhaltensmuster, die sich häufig wiederholen. So kann es natürlich auch vorkommen, dass sich das Verhalten des Pferdes gegenüber seinen Artgenossen zunächst auch bei den Menschen wieder spiegelt, wenn es sich auch hier bewährt hat, da auch Pferde auf „Bewährtes“ zurückgreifen. Verhält sich ein Pferd bei der Futteraufnahme beispielsweise „rüpelhaft“, in dem es sich einfach zwischen seine Pferdekumpels drängelt oder sich durch Drohen Platz verschafft, so kann dies durchaus auch in Anwesenheit des fütternden Menschen eine zunächst gewählte Lösung sein. Ist ein Pferd eher unsicher, schnell verängstigt und so auch schnell auf der Flucht, steigert sich diese grundsätzliche Unsicherheit häufig noch in Abwesenheit der sicheren Herde, auch, wenn der vermeintliche Lieblingsmensch anwesend ist und / oder das Pferd sucht permanent den Kontakt zur Herde und trifft Entscheidungen, die der Mensch nicht auf den ersten Blick versteht.

Signale funktionieren durch Konsequenzen

Triggerstacking – Manchmal ist es einfach zuviel

Kommt zusätzlicher Stress von außen hinzu, reagieren Pferde nochmals deutlich instinktiver und häufig zum Nachteil ihres menschlichen Partners. Selbst bereits gut etablierte Signale verlieren dann an Wirkung, insbesondere, wenn man Sie nicht auch explizit unter Stress trainiert und gut generalisiert, also auch in verschiedenen Situationen trainiert, hat. In vielen Trainingsweisen wird ein solches Verhalten dann gerne damit interpretiert, dass das Pferd die Führung für sich beanspruchen und seine eigenen Entscheidungen durchsetzen will. Tatsächlich versucht es jedoch nur, seine eigene Haut zu retten, weil es in dieser Situation noch keine anderen Erfahrungen gemacht hat und die gewählte Strategie sich bewährt hat oder genetisch vorprogrammiert ist. Mit einem Führungsanspruch gegenüber dem Menschen hat dies rein gar nichts zutun. Im übrigen lässt sich hierbei auch nicht auf eine mangelnde Pferd-Mensch-Beziehung schließen. Zwar macht eine reichhaltige und vielfältige „gemeinsame Geschichte“ solche Situationen selbstverständlich entspannter, aber da wir mit unseren Pferden nicht in einer Blackbox leben, lassen sich leider auch nicht alle Situationen vollständig durch Training abdecken.

Manchmal reicht schon ein kleiner Auslöser, damit es so wirkt, als stelle sich das Pferd nur an und macht „aus einer Mücke einen Elefanten“. Hier sollten wir stets berücksichtigen, dass wir mit dem Pferd nur eine begrenzte Zeit verbringen und nicht wissen können, was in den übrigen 22 Stunden des Tages bereits vorgefallen ist und ggf. Stress ausgelöst hat. Selbst innerhalb der gleichen Trainingssession kann es uns leicht passieren, dass wir viele kleine Stressauslöser übersehen und diese sich dann so lange summierenm, bis es zu einem großen Knall kommt und das Pferd ganz plötzlich explodiert, obwohl wir eigentlich gar nicht viel gemacht haben.

Keine Frage ist eine solche Lage für Pferd und Mensch besonders unangenehm und es ist durchaus verständlich, dass man selbst in einer solchen Situation erstmal um die Sicherheit (die eigene und die des Pferdes) bemüht ist und das Pferd nicht einfach mal machen lassen kann. Solche Situationen gehen häufig nicht ganz ohne Druck über die Bühne und zwar ganz unabhängig davon, ob man sein Pferd nun mit positiver oder negativer Verstärkung oder sogar strafbasiert trainiert. In manchen Situationen versagen Signale einfach grundsätzlich und dann hilft manchmal nur „Physik“ durch entsprechendes Equipment. Wohlbemerkt sprechen wir hier nicht von regulären Trainingssituationen, sondern von Ausnahmen bzw. Eskalation mit Gefahr für Mensch und / oder Tier. Leider fühlt sich der Mensch in so einer Situation bewusst oder unbewusst in seinem Verhalten – Druck anzuwenden und sich durchzusetzen – bestärkt, so dass auch er versucht ist, häufiger darauf zurückzugreifen. Hier ist es also besonders wichtig, die Situation im Nachhinein zu reflektieren und zu überlegen, wie diese zukünftig vermieden werden oder das Pferd darauf vorbereitet werden kann.

Keine Konsequenzen bedeuten keine Reaktion.

Dominantes Verhalten als Grund für druckbasiertes Training

Die Annahme, ein Pferd sei dominant, führt in der Praxis häufig zu druckbasierten Trainingsmethoden. Dies kommt einerseits dadurch, dass in vielen Trainingskreisen immer noch suggeriert werden, dass ein guter „Anführer“ die Entscheidungen trifft und wenn nötig auch mit mehr oder weniger Druck durchsetzt, aber eben auch dadurch, dass wir Menschen im Umgang mit Druck viel mehr Erfahrung haben und sich solche Methoden daher auch für uns besonders gelohnt haben. Unser eigenes Sicherheitsbedürfnis lässt häufig nicht zu, dass wir darauf vertrauen, dass auch gutes Training mit positiver Verstärkung ausreicht, um unangenehme Situationen zu bewältigen. Wir möchten sicher sein, dass das Pferd weiß, dass es im Zweifel keine Alternative gibt und haben Angst davor, dass unser Training am Ende versagt. Diese Angst ist nicht unberechtigt, doch macht es die Entscheidung deutlich einfacher, wenn man sich im klaren darüber ist, dass jede Art von Training in Situationen versagen kann und so die Entscheidung, welche Trainingsmethode verwendet wird, nicht davon abhängig macht.

Positiv verstärktes Training kann in schwierigen Situationen von Vorteil sein

Tatsächlich deuten Versuche und Studien darauf hin, dass mit positiver Verstärkung trainierte Signale auch in stressigen Situationen sogar besser funktionieren. Da diese an positive Emotionen gekoppelt sind, die irgendwann sogar soweit automatisiert sein können (Ich weiß wohl, dass das in Verbindung mit empathischen Lebwesen eine schwierige Formulierung ist …), dass man damit quasi einen Schalter umlegen kann, sorgen diese eher für zusätzliche Sicherheit und funktionieren dann trotzdem. Dazu kommt, dass durch das Training mit positiver Verstärkung auch die Toleranz gegenüber ungewohnten Situationen erheblich steigt, da neue Situationen in der Vergangenheit häufig mit positiven Emotionen einhergingen. Signale, die mittels Druckaufbau trainiert wurden, haben hier das Problem, dass Sie zunächst zusätzlich für Stress sorgen, da Sie in einer unangenehmen Situation das Unwohlsein des Pferdes nochmals steigern. Schließlich stellt ein solches Signal immer die erste Stufe einer Reihe von Steigerungen dar und selten funktioniert in diesen Situationen dann bereits die erste dieser Stufen. Dazu kommt, dass die Angst des Pferdes durch weitere „unangenehme Trigger“ ggf. weiter steigt und diese Angst noch verstärkt und das Pferd in seiner Annahme, es handele sich um eine gefährliche Situation, bestätigt.

Greift man in einer solchen Situation auf Druck zurück, so sollte dieser lediglich dazu dienen, die Situation zu beenden oder ausser Reichweite des Triggers zu geraten. Für Training ist in einer solchen Situation ohnehin der falsche Zeitpunkt, dieses sollte grundsätzlich dann stattfinden, wenn beide Trainingspartner in der Lage sind, bewusste Entscheidungen zu treffen.

Keep-Going-Signal (KGS) und Intermediäre Brücke (IBM)

Die eigenen Trainingsmethoden überdenken und ggf. umstellen

Kommt es im Training und im Umgang häufig zu „Widersetzlichkeiten“ oder scheint das Pferd unkooperativ, so sollte genau hingeschaut werden, statt einfach darüber hinweg zu trainieren. Es gibt immer einen Grund für das Verhalten des Pferdes und immer auch eine Lösung, die nicht auf unangenehmem Druck basiert und ausreichend kleinschrittig gestaltet zu einer positiven Lernerfahrung führen kann.

Die Umstellung des eigenen Trainings von konventionellen Trainingsmethoden auf positive Verstärkung hilft, die Situation nachhaltig zu verbessern, ist aber nicht „mal schnell gemacht“. Es erfordert, dass sich der Mensch sehr ausführlich mit dem Thema positive Verstärkung auseinandersetzt. Denn gerade, wenn es bereits eine Vorgeschichte gibt, in dessen Anschauung das Pferd „dominant“ gewesen ist, werden sich zu Beginn immer wieder viele Situationen zeigen, in denen man in alte Denkmuster zurückfallen und das Vertrauen in die Methode wieder verlieren kann. Gerade, wenn solche Pferde vorher durch Druck „in Schacht“ gehalten wurden, zeigen sich beim Wegfall dessen all die Verhaltensweisen, wieder und es fällt auf, dass man das Verhalten des Pferdes gar nicht nachhaltig verändert, sondern nur unterdrückt hat. Dessen sollte man sich also bewusst sein und sich entsprechend vorbereiten. Im Idealfall hat man auch einen Trainer an seiner Seite, denn nicht nur für das Pferd stellt ein Systemwechsel eine große Herausforderung dar.

Als Basis sollten hier vorrangig Verhaltensweisen trainiert werden. Ggf. macht es sogar Sinn, das Training zunächst hinter einer Absperrung zu beginnen, damit man sich selbst sicher fühlt. Auch das Pferd fühlt sich so häufig sicherer, was zu einer weiteren Stressreduktioin führt. Hier möchte ich euch meinen Survival Guide empfehlen oder die kostenlosen Videokurse, die ihr auf dieser Seite finden könnt.

Abbruchsignal / Alternativverhalten mit positiver Verstärkung

Konfliktpotential vorrübergehend verringern und positive „Geschichte“ aufbauen

Wichtig ist außerdem, dass Konfliktsituationen zu Beginn möglichst vermieden werden und diese erst nach und nach kleinschrittig zu trainieren, wenn die Basics sitzen. Insbesondere muss hier hinterfragt werden, welche Verhaltensweisen zu Beginn wirklich notwendig sind, wenn diese nur mit Druck oder Androhung von Druck abgefragt werden können. Dies ist vor allen Dingen für den Menschen eine Herausforderung, das es hier darauf hinausläuft, seine eigenen Bedürfnisse zu hinterfragen udn ggf. hinten anzustellen zu Gunsten des Trainings und des Pferdes.

„Fehlverhalten“ muss an dieser Stelle immer genauestens hinterfragt werden, statt dem Pferd ein Label wie „dominant“, „selbstbewusst“ oder „unwillig“ aufzudrücken. Was genau bedeutet das Label für das Verhalten? Worauf reagiert das Pferd wie? Welche Alternative kann ich trainieren? Wie kann ich das Training noch kleinschrittiger gestalten? All dies ist für das zukünftige Training viel wichtiger als eine Bezeichnung für das Verhalten zu finden, die am Ende vielleicht doch nur zu einer Legitimation zur Anwendung von Druck führt.

Aufbauend auf einer guten Grundlage lernt das Pferd durch Erfolg und angenehme Erlebnisse, dass sich Mitarbeit und die Kooperationsbereitschaft und auch das Vertrauen in das gemeinsame Tun wird wachsen. Zwar kann ein Neustart zunächst mit Trainingsrückschritten verbunden sein, weil bereits trainiertes Verhalten plötzlich nicht mehr funktioniert, wenn der „Druck“ aus dem Training genommen wird. Dies ist jedoch sehr häufig der Beginn einer besseren Beziehung, mehr Kooperationsbereitschaft und auch mehr Zufriedenheit, weil das Zusammensein mit dem Pferd nicht mehr durch Konflikte bestimmt ist, sondern lösungs- und bedürfnisorientiert etwas gemeinsam tut.

Mit Überzeugung kann ich hier nur einmal wieder betonen „Der Weg ist das Ziel“