Angst beim PferdDarf man ein Pferd belohnen, wenn es Angst hat oder muss man sein Verhalten ignorieren, bis es sich beruhigt hat? Da ich in letzter Zeit immer wieder auf dieses Thema angesprochen werde und sich die Meinung hartnäckig hält, man müsse das Pferd bei der Gewöhnung über mehr oder weniger viel Druck dazu bringen, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen und dürfe es vor allen Dingen in Angstsituationen nicht belohnen, habe ich hierzu mal ein paar Zeilen geschrieben.

Die Meinung, man könne Angst durch Belohnung vergrößern, hält sich leider immer noch hartnäckig. Tatsächlich ist Angst jedoch eine Emotion und das Pferd wird diese nicht „vortäuschen“. Emotionen lassen sich nicht operant verstärken. Das Pferd entscheidet auch nicht Angst zu haben oder zeigt Angstverhalten, wenn es nicht notwendig ist. Würde man das Pferd in einer Situation verstärken, insbesondere durch Belohnung, dann würde das Pferd sich jedoch beruhigen, sofern der Reiz nicht so schlimm ist, dass es völlig kopflos und panisch reagiert – dann macht es allerdings auch keinen Sinn zu trainieren, sondern die Situation zu entschärfen oder zu verlassen (und dann in Ruhe zu trainieren). Ggf. gewöhnt sich das Pferd trotzdem daran, aber es wird länger dauern, wenn die Reizschwelle des Pferdes überschritten wird. Denn Gewöhnung bedeutet ja, dass ein Reiz unwichtig wird. Hat dieser jedoch eine Bedeutung, weil das Pferd Angstverhalten zeigt, wird die Gewöhnung langwieriger und schwerer für das Pferd. Das gilt vor allen Dingen auch dann, wenn man das Pferd durch mehr oder weniger viel Druck an seiner Reaktion hindert. Im Idealfall arbeitet man so, dass man gewöhnt und nicht „konditionieren“ muss im Sinne von „Du wirst schon nicht gefressen …“. Besser ist es nur so nah ran zu gehen, wie das Pferd dies auch noch ertragen kann und nicht flüchtet oder massive Abwehr zeigt. Wenn man ein Pferd daran gewöhnen möchte, den Sattel zu tragen, schnallt man den ja auch nicht drauf und sagt „Leb damit“. Wenn das Pferd Angst vor der Brücke hat, würde man es doch auch beruhigen und ggf. belohnen. Das würde ja alles nicht funktionieren, wenn es nicht eine Gegenkonditionierung gäbe. Durch die Belohnung ändere ich den emotionalen Status des Tieres. Das ist eine klassische Konditionierung.

Angst ist ein Schutzmechanismus des Pferdes. Er sichert im Zweifel das Überleben. Bei einem Fluchttier wie dem Pferd findet die Bewertung, wie gefährlich etwas ist, in der Amygdala statt, einem evolutionär gesehen sehr „alten“ Teil des Gehirns. Hier wird entschieden, ob das Pferd „Angst“ hat und flüchtet, einfriert oder kämpft. Das geschieht zeitlich gesehen lange bevor der Reiz im Teil des Gehirns ankommt, der für bewusste Entscheidungen vorgesehen ist und das Pferd bewusst darauf reagieren kann. Die Kontrolle der Emotionen entzieht sich der bewussten Kontrolle des Tiers. Das bedeutet, wird dort „entschieden“, dass das Pferd Angst hat, erfolgt sofort eine körperliche Reaktion.

Neurobiologisch ist es nicht möglich, Angst durch Belohnung zu vergrößern. Es ist jedoch möglich, positive Emotionen zu steigern. Wird man also in einer angenehmen Situationen das Pferd auch noch belohnen, wird es diese Situation als noch angenehmer empfinden, WENN das Pferd die Belohnung auch tatsächlich als Belohnung empfindet (Stichwort Primärer Verstärker – Klopfen am Hals lohnt sich für das Pferd eben nicht…). Das gleiche passiert auch in Angstsituationen – vorausgesetzt, das Pferd ist noch in der Lage zu fressen (siehe oben). Empfindet das Pferd eine Situation als unangenehm und ich belohne es, dann wird es diese Situation als etwas weniger unangenehm empfinden, weil sich Emotionen eben nicht verstärken lassen, wenn eine gegenläufige Emotion dazu kommt.

Es gibt allerdings Faktoren, die das Verhalten des Pferdes durchaus beeinflussen können und Angstverhalten verstärken. Beinflusse ich das Verhalten dahingehend, dass das Pferd an seinem Fluchtverhalten gehindert wird und zwingt der Mensch das Pferd durch Druck dazu, die Gefahr über sich ergehen zu lassen, ist es möglich, dass das Pferd aufgrund des Drucks lernt, dies zu tolerieren, sofern es durch den Menschen hinreichend beeinflusst wird, es wirkt sich jedoch häufig nicht auf die Emotionen des Pferdes aus, so dass das Pferd weiterhin Angst hat oder die unangenehmen Gefühle sogar verstärkt werden (bei häufig nicht stärker werdender Reaktion des Pferdes). Das ist wie bei Hunden: Bestrafe ich den Hund, weil er andere Hunde anknurrt durch einen Ruck an der Leine oder verbale Drohungen, stellt dieser das Bellen irgendwann ein. Ergibt sich aber eine Situation, in der der Hund nicht beeinflusst durch den Menschen ist oder die Bedrohung „schlimmer“ ist, als die Bedrohung durch den Menschen, so wird dieser ggf. ohne Vorankündigung beißen, statt zunächst zu drohen. (Würde ich den Blickkontakt vor dem Bellen zu anderen Hunden jedes Mal bestärken durch Futter, wird sich der Hund beim Anblick anderer Hunde irgendwann nicht mehr bedroht fühlen, vereinfacht gesagt).

Und dann gibt es natürlich auch noch das Stichwort Stimmungsübertragung. Wenn ich dem Pferd gut zurede oder einen Keks gebe, wenn es Angst hat, dabei aber selbst völlig panisch bin oder sogar im Vorfeld schon Stress habe, dann ist es möglich, dass dies auch die Angst des Pferdes größer werden lässt. Aktuelle Forschungen gehen davon aus, dass die so genannten Spiegelneuronen auch artübergreifend eine Rolle spielen und sich so Emotionen und Stimmungen auch von Art zu Art übertragen lassen.

Kurzum: Es macht viel mehr Sinn, das Pferd in der Bewältigung seiner Angst durch positives Erleben zu unterstützen, statt seine Angst durch Ignorieren kurieren zu wollen 😉