Die Beziehung zwischen Pferd und Mensch ist eine sehr emotionale Sache. Wir alle lieben unsere Pferde und wünschen uns, dass unsere Liebe auf das pferdische Pendant von Gegenliebe stößt: Vertrauen, Harmonie, Respekt. So ist es kaum verwunderlich, dass jeder von uns sich in der Zusammenarbeit mit dem Pferd von Intuition und seinem Gefühl leiten lässt. Doch nicht immer teilt uns unser Gefühl auch das Richtige mit. Deshalb ist es sinnvoll, auch unsere Gefühle ab und zu auf Prüfstand zu stellen.

Entscheidungen „nach Gefühl“

Fast alle Entscheidungen im Training haben auch etwas mit Gefühl zu tun. Unser Gefühl lässt uns darüber entscheiden, wie wir auf ein Verhalten unseres Pferdes reagieren, ob wir es verstärken oder das Pferd belohnen, ob wir es ignorieren oder es sogar bestrafen wollen oder vermeintlich nichts tun. Unsere Entscheidung und damit letztlich auch unser Gefühl ist durch unsere Erfahrung und unser Wissen beeinflusst. Mit wachsendem Wissen und Kenntnis des Pferdes und der Lerntheorie, mit der Verbesserung unserer Fähigkeiten und Möglichkeiten im Training, ändert sich auch unser Verhalten und unsere Reaktionen im Zusammensein mit den Pferden.

Nach bestem Wissen und Gewissen

Jeder von uns ist bemüht, stets das Richtige für das Pferd zu tun. Schließlich trainiert keiner von uns deshalb mit „seiner Methode“, weil er seinem Pferd damit Schaden zufügen, es unterdrücken oder gar dominieren will. Wir alle haben unsere Methoden gewählt, weil wir uns eine bessere Beziehung, eine bessere Kommunikation und ein harmonisches Miteinander wünschen. Das ist gut, denn ausgehend von unserem Wissensstand stellt unser Gefühl und unsere Intuition sicher, dass wir genau dies beibehalten. Denn genauso wie unser Gefühl uns darüber Rückmeldung gibt, ob wir in unserem und damit auch im übertragenen Sinne „pro Pferd“ handeln, teilt es uns mit, wenn dieses – subjektiv gesehen – nicht mehr gewährleistet ist.

Nicht verwunderlich also, dass die Meinungen über „richtig und falsch“ im Pferdetraining sehr häufig auseinander gehen, denn mit dem Gefühl ist das so eine Sache. Für den Fühlenden ist ein Gefühl immer richtig und ehrlich. Doch Gefühl gibt nicht immer Recht. Gefühl ist zunächst einmal sehr einseitig für den Fühlenden. Es hat nichts damit zu tun, wie das Gegenüber sich dabei fühlt – das macht es so schwierig. Denn Gefühl hat immer auch etwas von Willkür, weil die Handlungsmotivation stets einseitig ist und das Gefühl des Gegenübers zunächst nicht in die Entscheidung mit einbezieht. So fühlt sich selbst Strafe im Training für den Strafenden häufig „richtig“ (und das bedeutet nicht zwingend auch „gut“) an.

Strafe hat für den Ausführenden meist eine verhaltensverstärkende Wirkung, da sie in der Regel effektiv erscheint und dem Strafenden das Gefühl gibt, seinen Kontrollverlust ausgeglichen und für die Zukunft vorgesorgt zu haben. Oft ist es nur eine Möglichkeit zu kommunizieren, dass dieser mit etwas nicht einverstanden ist. Er wird es demnach wieder tun, wenn sich eine ähnliche Situation ergeben sollte, da es sich richtig anfühlt und bewährt hat.

Ähnliches gilt für den Einsatz von aversivem Druck im Sinne negativer Verstärkung im Training. Für den Trainierenden fühlt es sich richtig an, denn auf Basis seines Wissens hält er es für richtig zuerst Druck aufzubauen und bei richtiger Reaktion zu entfernen – damit fühlt es sich auch richtig an. Und das gute Gefühl ist es doch, was uns alle leitet – ganz egal, mit welcher Methode und mit welchem Wissenshintergrund wir den Umgang mit unseren Pferden gestalten.

Mut zur Weiterentwicklung

Doch was ist, wenn wir unser Wissen erweitern und dazu lernen? Unser Wille, das Beste für unser Pferd zu tun, bestärkt uns darin, uns stetig weiterzuentwickeln. Die Möglichkeiten, sich weiterzubilden und dazuzulernen sind in den letzten Jahren deutlich angewachsen. Die Forschung rund um die Ethologie des Pferdes, das Wissen um Trainingsmethoden und auch die Einstellung zur Ethik in Haltung und Training des Pferdes bieten eine Fülle an Quellen und Inspiration für das eigene Handeln. Doch genauso schnell und zahlreich wie diese Quellen, entwickeln sich auch Trainingsmethoden, die auf Vermutungen, Meinungen und Erfahrungen einzelner beruhen. Die von Generation zu Generation weitergegeben werden, freilich, weil sie sich bewährt haben, sich ebenfalls weiterentwickeln, und doch oftmals nicht genügend Raum für neue und hiervon abweichende Erkenntnisse bieten. Doch reicht „es fühlt sich richtig an und funktioniert“ wirklich aus, um eine Trainingsmethode die, wenn auch nur zum Teil auf Druck oder Strafe beruht, im Sinne einer ethischen Betrachtung zu „legitimieren“?

Gefühle auf dem Prüfstand

Wer von uns fand sich noch nicht in der Situation wieder, dass er vorangegangene Erfahrungen reflektiert hat, sich alte Videos angeschaut oder Notizen durchgelesen hat und dabei dachte, wie schwer er es doch seinem Pferd damals gemacht hat. Wie viel besser es gewesen wäre, wenn man damals schon das Wissen von heute gehabt hätte. Ich kann mich an Situationen erinnern, in denen ich mich regelrecht geschämt habe für Dinge, die ich gesagt oder getan habe. Aber denkt man zurück an die Zeit oder sogar an die Situation, so wird man feststellen, wie grandios und gut es sich doch angefühlt hat, das Gefühl, dass man das richtige tut! Und wieder 5, 3 oder sogar nur 1 Jahr zurück wird man feststellen, dass man auch hier vermeintlich Dinge getan hat, die man aus heutiger Sicht ganz anders gelöst hätte. Und das ist großartig! Denn dann sind wir auf dem richtigen Weg. Dennoch bietet diese Begebenheit Anlass dazu, auch sein heutiges Training zu reflektieren und sein aktuelles Gefühl einer Prüfung zu unterziehen. Was sich damals so richtig und gut angefühlt hat, kann sich heute ebenso falsch anfühlen und eine Wiederholung ausgeschlossen machen. Aber genauso gut kann es eben sein, dass das, was sich heute richtig und gut anfühlt, eigentlich gar nicht im Sinne des Pferdes ist und wir in 1 oder 2 Monaten oder erst Jahren, mit neuen Erkenntnissen, feststellen, dass wir uns geirrt haben.

Ein Plädoyer für die Wissenschaft

Selbstverständlich ist Gefühl im Training wichtig. Selbstverständlich sollte unser Training nicht innerhalb einer „Black Box“ mit dem Pferd stattfinden. Und doch ist es so abhängig von unserem Wissen. Daher sollten die Quellen, mit denen wir unser Wissen erweitern, sorgsam gewählt werden. Sind es Meinungen oder Erkenntnisse von einzelnen? Sind die Methoden vor dem Hintergrund des eigenen aktuellen Wissens und auch vor dem Stand der Ethologie haltbar? Viele Methoden im Pferdetraining klingen logisch und fundiert, haben offenbar „Hand und Fuß“ und sind doch letztlich überholt oder zumindest teilweise nur ein Sophismus!

Wikipedia schreibt hierzu: Ein Sophismus (…) ist ein Argument, das scheinbar einen logisch gültigen Beweis führt, tatsächlich aber einen formellen oder informellen Fehlschluss darstellt. Also zum Beispiel eine Überlieferung, die einfach stets für „bare Münze„ gehalten und von Reitergeneration zu Reitergeneration weitergegeben und daher für auch weiterhin für richtig gehalten wurde. Und davon haben wir in der Pferdewelt leider viel zu viele, die dringend überdacht werden sollten.

Auch wenn die Verbindung von etwas so sachlichem wie „Wissenschaft“ mit etwas so emotionalem wie Pferdetraining nicht besonders romantisch klingt, ist sie dennoch eine gute Kombination. Im Gegensatz zu vielen Trainingsmethoden, unterliegt die Wissenschaft einer ständigen Prüfung. Viele der heute anerkannten und bewährten Methoden und Theorien sind nicht deshalb noch „aktuell“, weil sie in den letzten Jahrzehnten keiner Prüfung unterzogen worden, sondern im Gegenteil, weil die zahlreichen Versuche, diese zu widerlegen, nicht haltbar waren und diese Theorien letztlich bestätigt wurden. Wie auch wir im täglichen Umgang gut daran tun, neue Erkenntnisse nicht einfach nur als gegeben und richtig anzusehen, weil jemand dieses sagt oder schreibt, ist dies auch für die Wissenschaft von enormer Wichtigkeit. Schließlich benötigt Forschung und Entwicklung stets eine „gesunde“ Grundlage.

Möglichkeiten wahrnehmen

Je mehr wir also wissen, je mehr wir dadurch unsere Augen für das komplexe Wesen Pferd öffnen, desto diffiziler können wir unser Gefühl in die richtige Richtung geleiten. Denn nicht zuletzt orientiert sich eine ethologische, wissenschaftliche Herangehensweise vor allen Dingen am Gefühl, nur eben nicht am Gefühl des Trainers, sondern am Gefühl des Pferdes. Um die Bedürfnisse des Pferdes stets in den Fokus zu stellen, ist es neben dem Wissen über Ethologie und Training wichtig, die Körpersprache des Pferdes zu kennen. Insbesondere die Mimik verrät uns viel über den „inneren Zustand“ des Pferdes.

Und auch hier finden sich viele Meinungen und Behauptungen wieder, die dazu dienen, eindeutige Signale des Tieres über deren Unwohlsein schönzufärben und damit Methoden zu rechtfertigen, die dringend hinterfragt werden sollten. Wenn wir indes in der Lage sind, kleinste Veränderungen in der Mimik und Körpersprache korrekt wahrzunehmen, so kann uns dies zumindest vor „groben Anwendungsfehlern“ bewahren. Denn auch hier muss man anerkennen, dass Stress und Unwohlsein bereits entstehen, deutlich, bevor das Pferd dieses „äußerlich“ zum Ausdruck bringt. Umso wichtiger ist es also, das Risiko unangenehmer Empfindungen im Umgang mit dem Pferd so weit wie möglich zu reduzieren. Denn nur weil man Empfindungen und Emotionen nicht unmittelbar wahrnehmen kann, sind sie doch da und beeinflussen das Pferd in seinem Verhalten.

Gefühle verändern

Zusammengefasst bleibt Gefühl also nur eine Möglichkeit, eine von vielen Möglichkeiten, ein „richtig für das Pferd“ sicherzustellen. Gefühle sind nicht statisch, sondern variabel, veränderbar und abhängig von vielen Faktoren. Neue Erkenntnisse und Beobachtungen stellen eine kontinuierliche Weiterentwicklung sicher. Mit jeder Wissenserweiterung korrigieren wir auch ein Stück weit unser Gefühl. Wer also im Zusammensein mit seinem Pferd feststellt, dass sich etwas nicht gut oder auch nur anders als sonst anfühlt, der sollte dies nicht einfach nur wahr- und hinnehmen, sondern genauestens überprüfen, was zu dieser veränderten Wahrnehmung geführt hat. Denn Intuition und Bauchgefühl können trotz aller Sorgfalt und Fallstricke dennoch ein gutes Indiz sein, etwas zu ändern, wenn sie nicht unser einziges „Prüfmittel“ darstellen, um unser Handeln zu legitimieren.