Dominanz ist sicher einer der Begriffe, der die Pferdeszene nachhaltig geprägt hat, der aber auch am meisten missverstanden wird. Der Chef im Ring sollte man sein, das Pferd „beherrschen“ heißt es. Zugegeben, auch in mir löst diese Beschreibung zuweil ein wenig Bauchschmerzen aus, denn leider resultiert aus falschem Verständnis von Dominanz oftmals Aggression und Herrschsucht. Ohne Zweifel ist der Weg zum Vertrauen des Pferdes nicht dieser. Auch in der Natur würde der Herdenchef nicht unentwegt seine Dominanz gegenüber der Herde durch offensive Gesten demonstrieren. Vielmehr erhebt die Herde ihn in den Status des Leittiers, weil es ihn dieser Aufgabe für würdig empfindet.

Aber wie gelangt man nun dahin? Wie erreicht man den „Status Leittier“?

Nun, solange man noch darüber nachdenken muss, wie man die Führung erlangt, fehlt es einem meiner Erfahrung nach an der natürlichen Autorität, die es braucht, um das Pferd zufrieden zu stellen. Bei meinem Pferd hat es Jahre gebraucht, bis die Verhältnisse zwischen uns einigermassen klar waren. Nachfragen tut er trotzdem heute noch, wird er auch immer, aber Außenstehenden fällt das nur auf, wenn er es auch entsprechend offen zeigt. Meist sind es jedoch nur subtile Kleinigkeiten, mit denen uns unser Pferd auf die Probe stellt.

Im Grunde wollen Pferde nicht dominiert, sondern geführt werden. Für ein Pferd ist es nicht erstrebenswert, die Position des Leittieres innezuhaben; sie nehmen sie nur ein, wenn ihnen keine andere Wahl bleibt. Wenn Flucht angesagt ist, muss das Pferd wissen, wem es vertrauen kann, wem es folgen kann um sein Überleben zu sichern. Es dann erst herauszufinden, käme einem Todesurteil gleich. Die Hierarchie der Herde muss also immer intakt sein, was heisst, das man dem Leittier bedinungslos folgt und ihm Vertrauen schenkt. Eine gewisse Form der Unterordnung ist also durchaus notwendig. (Hier setzt wahrscheinlich auch der Begriff Dominanz an) Daher ist ein Pferde jederzeit bestrebt herauszufinden, wem es vertrauen kann, wer in der Lage ist, es zu führen.

Dies ist meiner Meinung nach ein reeller Ansatz, der Schlüssel zum Verständnis von Dominanz. Damit sich ein Pferd mir unterordnet, muss es mir in jeder Situation vertrauen können. Das heißt, ich muss zu jederzeit Kompetent erscheinen, in jeder Lebenslage. Durch meine Körperhaltung, meinen Geruch, mein Gefühle aus gebe ich dem Pferd Eindrücke, die es durchaus auch in der Lage ist zu interpretieren. Wenn wir auch nur geringe Zweifel haben, wird es das Pferd merken und unsere Position in Frage stellen. Wenn wir dann nicht autoritär genug erscheinen, nicht sicher genug in unserem Handeln auftreten, dann wackelt der Stuhl, auf dem wir sitzen. Die Frage des Pferdes an uns lautet „Hey, du, hier ist Gefahr im Verzug, du spürst es auch, und jetzt sag mir, kannst du mich beschützen, wenn das Raubtier (es muss schon recht nah sein, wenn du gestresst bist …) kommt, bist du in der Lage mein Leben zu beschützen? Bist du überfordert? Soll ich den Leittierjob übernehmen? Sag es mir JETZT!“. Wenn unsere Antwort jetzt nicht sofort und vor allem autentisch heisst „Ja, ich kann dich beschützen, hab keine Angst, ich weiß, was zutun ist“, dann wird das Pferd selbst entscheiden, was es für richtig hält.

Wir sollten also nicht im eigentlichen Sinne daran arbeiten, daß das Pferd sich uns unterordnet, sondern im übergeordneten Sinne daran, das unser Pferd uns als Autorität ansieht und das, weil wir authentisch sind. Mit Autenthisch meine ich in diesem Fall, das es nicht reicht, wenn wir einfach ein paar Körperhaltungen einstudieren und diese am Pferd anwenden. Wir müssen das Pferd verstehen, wir müssen verstehen, welches Verhalten unsererseits JETZT angebracht ist und warum und genau dass muss sich auch in unserer Persönlichkeit wiederspiegeln. Nur dann kommen wir als Leittier, als Führungspersönlichkeit in Frage.

Ich will kein Pferd, das mir bedinungslos folgt, sondern ein Pferd, welches mir instinktiv sagt, wann es mich für inkompetent hält.

Schließlich möchte ich einen andauernden Dialog, keinen Monolog, bei dem das Pferd nur meinen Anweisungen folge leistet.

Es reicht bei alle dem natürlich nicht aus, die Rangordnung einmal klar zu stellen und es dann auf sich beruhen zu lassen. Mit jeder Bewegung, jeder Handlung, wird unsere Position unbewusst in Frage gestellt und überprüft, ob wir als Leittier in Frage kommen. Man kann nicht nicht-kommunizieren und jegliche Kommunikation zwischen uns und dem Pferd ist ein Dialog, Aktion und Reaktion wechseln sich unentwegt ab, oft ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Leittier ist kein Status, den man einmal erhalten, auf ewig behält. Dieser wird subtil immer wieder auf die Probe gestellt, und sofern wir für Bestätigung sorgen, wird das die Beziehung zwischen Mensch und Pferd nur noch festigen. Es geht gar nicht anders. Denn wenn ich ein Pferd „dominiere“, achtet es auf mich, folgt jeder meiner Bewegungen und nimmt natürlich auch alle meiner Unsicherheiten und Fehler zur Kenntnis.

Je länger und intensiver man mit seinem Pferd zusammen arbeitet und sich mit seinen Bedürfnissen auseinandersetzt, desto mehr entwickelt man sich auch zu einer Führungspersönlichkeit. Mit der Zeit wird man nur noch selten bewusst wahrnehmen, wann das Pferd die Rangordnung in Frage stellt. Ebenso unbewusst ist dann auch unsere Antwort auf die Frage nach dem Leittierjob, der natürlich unser Job sein sollte. Die Klärung der Rangordnung erfolgt dann durch ganz subtile und selbstverständliche Handlung, bei denen wir dem Pferd seine Grenzen, aber auch seine Möglichkeiten aufzeigen. Genau wie die Hilfengebung beim Reiten, wird auch hier die Kommunikation mit der Zeit feiner. Man ist ein eingespieltes Team und strahlt Souveränität und Autorität aus, man lebt sie. Und dieses hat nichts damit zutun, wie häufig das Pferd „eins auf den Deckel“ bekommen hat, das wäre Konditionierung, sondern mit der eigenen Entwicklung zu einer Führungspersönlichkeit.

Dominieren heisst nicht, das Pferd zu unterdrücken, sondern es dazu zu bringen, sich einem freiwillig anzuschliessen.