Im Ausbildungs- und Methodendschungel der Pferdewelt fällt es uns manchmal schwer, den Überblick zu behalten. Es tummeln sich jede Menge Trainer, die jeweils ihr eigenes Konzept propagieren und lehren. Nach dem Motto „Wer heilt, hat recht“, wird die Anwendung von Druck in der Pferdeausbildung meist damit begründet, dass die Methode doch funktioniert und das Pferd mehr oder weniger schnell lernt, ein gewünschtes Verhalten zu zeigen. Die Frage, warum etwas funktioniert, bleibt häufig auf der Strecke. Dabei ist gerade diese Frage eine der wichtigsten, wenn es darum geht, Pferde artgerecht auszubilden. Würde man das Pferd fragen: „Warum reagierst du so?“, würde man bei konventionellen Ausbildungsmethoden über Druck wohl meist: „Weil mir nichts anderes übrig bleibt“ als Antwort erhalten.
Trainer, die sich auf „natürliche“ Ausbildungsmethoden berufen, gehen häufig davon aus, dass sich Pferde untereinander nicht belohnen und es daher nicht natürlich sei und nicht funktionieren würde, ein Pferd über Belohnung zu trainieren. Aus diesem Grund arbeiten sie überwiegend über den Aufbau von Druck, der bei gewünschter Reaktion des Pferdes nachlässt. Das Pferd soll lernen, den natürlichen Oppositionsreflex (Druck erzeugt Gegendruck) zu überwinden. Reagiert das Pferd nicht wie gewünscht, wird der Druck aufrechterhalten oder in der Regel sogar erhöht, bis das Pferd reagiert. Das Pferd lernt, dass es die Situation nur beenden kann, indem es eine entsprechende Reaktion zeigt. Üblich ist auch der Gedanke, der Mensch müsse eine ranghöhere Position einnehmen, damit das Pferd ihm respekt- und vertrauensvoll folgen könne.
Auch in der klassischen, konventionellen Ausbildung geht man davon aus, dass man zunächst einen entsprechenden (unangenehmen) Reiz setzen muss, damit das Pferd überhaupt eine Reaktion zeigt. Die häufigste Lösung bei Nichtreagieren des Pferdes ist noch immer das Anwenden von Druck oder sogar Strafe, um das Pferd zu einer Reaktion zu veranlassen.
Mit dem wachsenden Interesse an alternativen Ausbildungsmethoden hat erfreulicherweise auch das Interesse an Hintergrundinformationen zugenommen. Während insbesondere im Hundesport Trainingsmethoden, die auf dem natürlichen Lernverhalten der Tiere basieren, fast schon gang und gäbe sind, steckt die Entwicklung in der Pferdewelt noch immer in den Kinderschuhen.
Das Umdenken zu einer neuen, positiveren Pferd Form des Trainings fällt uns im traditionsreichen Pferdesport offenbar schwer. Dabei geht es nicht darum, das Trainieren über Druck als nicht artgerecht zu verteufeln. Es ist keineswegs unnatürlich, doch dies hat zunächst nichts damit zu tun, wie sich Pferde untereinander verhalten. Die negative Verstärkung (Entfernen von Druck, wenn sich das Pferd entsprechend verhält) wird vom Pferd ebenso natürlich verstanden wie die positive Verstärkung, also das Hinzufügen einer Belohnung bei richtiger Reaktion.
Grundlegend unterschiedlich ist jedoch die Motivation des Pferdes, mit der es die Lektionen ausführt. Während es im ersten Fall reagiert, weil es die als unangenehm empfundene Situation beenden will, reagiert es im Fall der positiven Bestärkung, weil es eine Belohnung für seine Bemühungen erwartet. Mit entsprechendem Training lässt sich jedoch auch moderater Druck zu einer für das Pferd verwertbaren Information ausbauen, ohne dass es diese als unangenehm empfindet.
Durch logischen und strukturierten Trainingsaufbau und unter Einsatz von Belohnung lernt das Pferd, (physischen) Druck nicht mit Zwang gleichzusetzen, sondern als Information oder Signal zu erkennen. Wie bereits Paracelsus erkannte, trifft auch hier der Satz „Die Dosis macht das Gift“ absolut zu. Gerade weil weder die eine noch die andere Lernvariante unnatürlich ist, hängt es von Ihrer Einstellung ab, welche Sie wählen. Wie wichtig ist Ihnen die zuvor gestellte Frage nach dem „Warum?“.
Stellt man die Frage nach der Motivation des Pferdes, wird man schnell merken, dass Pferde besonders engagiert sind, wenn man sie für ihre Leistung belohnt. In diesem Punkt unterscheiden sie sich wenig von uns Menschen. Und was böte sich im Fall der Pferde mehr an, als ihr immerwährendes natürliches Bedürfnis nach Fressen als Anreiz zu nutzen? Futter ist eine großartige Motivation für ein Pferd, uns unsere Wünsche schier von den Augen abzulesen. Doch zu seinem Leidwesen musste auch schon manch ein Pferdebesitzer feststellen, dass das Arbeiten mit Futterbelohnung alles andere als einfach ist.
Nur allzu schnell wird Futter im Training zu einem stark unterschätzten Stressfaktor, wenn das Pferd sich nicht mehr konzentriert, den Menschen permanent nach Futter absucht oder gar anfängt zu beißen und aggressiv die Belohnung einfordert. Dies sind ausdrücklich keine Nachteile der Arbeit mit Futterbelohnung, sondern vermeidbare Nebenerzeugnisse, die sich durch gutes Training beheben lassen. Schlechtes Verhalten hat als Ursache immer „Fehler im System“, denn Lernverhalten ist wie Schwerkraft ein Gesetz und keine Methode. Trainiere ich das Pferd korrekt, achte ich auf alle Details und baue das Training logisch auf, dann funktioniert das Arbeiten über Futter problemlos und mit all seinen positiven Effekten. Stellen Sie sich vor, wie großartig es ist, wenn das zunächst unhöfliche, bettelnde Pferd durch wenige Trainingsschritte dazu motiviert wird, Ihre Fragen mit „Ja“ zu beantworten.
Zugegeben, artgerechtes Training ist eine Wissenschaft für sich, denn dafür bedarf es solider theoretischer Kenntnisse und entsprechender Vorbereitung. Ich möchte Ihnen nicht versprechen, dass dies alles kinderleicht sei, denn dieses Versprechen werde ich nicht halten können. Ohne sich mit den Hintergründen auseinanderzusetzen, werden Sie nicht dauerhaft zu einem entspannten, freudvollen Miteinander mit Ihrem Pferd gelangen.
Wenn Sie ein guter Trainer/eine gute Trainerin (im Folgenden beschränke ich mich aufgrund der besseren Lesbarkeit auf eine Form, gemeint sind aber stets Frauen und Männer!) für Ihr Pferd werden wollen, müssen Sie an sich arbeiten und Ihr Verhalten fortwährend reflektieren. Der Lohn für die Mühe ist jedoch unbezahlbar, denn ein zufriedenes, motiviertes Pferd, das mit uns in partnerschaftlicher Verbindung steht, ist schließlich das Ziel eines jeden verantwortungsvollen Pferdebesitzers. Mit diesem Buch möchte ich Ihr Verständnis für einen guten Trainingsaufbau schulen und Ihnen die Werkzeuge für ein positives Pferdetraining an die Hand geben. Ich wünsche mir, dass Sie nicht nur bestimmte Übungen nachmachen, sondern das dahinterstehende Konzept in Ihren gesamten (Trainings-)Alltag integrieren. Denn Horsemanship bedeutet nicht, eine bestimmte Technik oder Methode anzuwenden, sondern das Lernverhalten des Pferdes zu verstehen und anzuerkennen und das Training gemäß seiner natürlichen Bedürfnisse zu gestalten; frei nach meinem Motto: „Ehrlich motiviert!“
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