Keine Lust!Ein häufiges Argument, gegen die ein oder andere Beschäftigung mit dem Pferd ist: das Pferd hat dazu keine Lust. Gerade bei den Zirkuslektionen, begegnet mir das Argument häufig. Aber wozu hat das Pferd denn Lust und was heißt „auf etwas Lust haben“ überhaupt für ein Pferd?

Pferde denken in erster Linie bedarfsorientiert. Sie tun Dinge aus zwei Gründen: weil sie etwas Negatives vermeiden möchten, oder weil sie etwas Positives erwarten. Dies ist die Grundlage, anhand der wir Pferde schulen können, positive und negative Verstärkung.

Möchte ich meinem Pferd etwas Neues beibringen, so sollte dies vorzugsweise ohne Druck geschehen und jeder noch so kleine Lernschritt belohnt werden. Damit dies überhaupt möglich ist, ist es wichtig, die Lernschritte vorher genau zu definieren und eine klare Vorstellung von dem zu haben, was ich meinem Pferd beibringen möchte. Je weniger routiniert man in der jeweiligen Aufgabe ist, desto wichtiger wird es, sich vorher über alle Eventualitäten klar zu werden.

Jedes Pferd mit seinem individuellen Charakter, seiner eigenen Lerngeschwindigkeit, seinem bisherigen Wissen und seinen körperlichen Voraussetzungen braucht einen eigenen Plan! Es reicht in den wenigsten Fällen aus, nach „Schema F“ zu arbeiten. Ist die Aufgabe für das Pferd gänzlich neu und fällt sie ihm vielleicht zusätzlich auch noch körperlich schwer, stoßen viele Pferdebesitzer schnell an ihre Grenzen, wenn sie auf die Mitarbeit des Pferdes angewiesen sind. Es entsteht Frust auf beiden Seiten: der Mensch ist frustriert, weil das Pferd nicht wie gewünscht mitarbeitet und das Pferd ist frustriert, weil es nicht versteht, was von ihm verlangt wird. Die Ausgangslage ist stets eine wiederholt ausbleibende oder falsche Reaktion des Pferdes – aus Sicht des Menschen. Jetzt zu sagen „Mein Pferd hat dazu keine Lust …“ ist sicherlich die einfachste und bequemste Möglichkeit.

Keine Lust!Während wir bei den meisten Trainingsmethoden und Aufgabenstellungen durchaus in der Lage sind, Druck auszuüben und so „zu machen“, dass das Pferd eine Reaktion zeigt, die wir dann ggf. mit Belohnung festigen, versuchen wir im positiven Pferdetraining möglichst darauf zu verzichten und stattdessen ein guter Trainer für unser Pferd zu werden und  unsere Trainerfähigkeiten zu verbessern. Ein gänzlich falscher Ansatz wäre es, hier noch mehr Druck aufzubauen und das Pferd für seine Nicht-Reaktion zu strafen. Das Pferd würde sich dann zwar ggf. bewegen um diese negative Erfahrung nicht noch einmal machen zu müssen, hätte dabei aber keine positive Lernerfahrung gemacht. Wer für und mit dem Pferd arbeitet, um mit seinem Tun vordergründig die Beziehung zwischen Pferd und Mensch zu festigen, wird hier eher das Training beenden oder sich Hilfe suchen. Wer dennoch bereit ist, zu Gunsten der Lektion auf Zwang und technische Hilfsmittel zurück zu greifen, sollte seine Motivation und sein Training gründlich überdenken und hinterfragen, ob es bei der Arbeit noch um das Pferd geht oder nur um sich selbst!

Trainingsfrust ist fast immer Hausgemacht! Es liegt zumeist daran, dass dem Menschen wichtige Zwischenschritte in seinem Aufbau fehlen. Nicht jedes Pferd ist in der Lage anhand der wenigen Informationen und Anweisungen, die ihm der Mensch häufig zur Verfügung stellt, komplexe Lektionen zu lernen. Nicht für jedes Pferd reicht es aus, für ein Kompliment einfach eine Möhre zwischen seine Vorderbeine zu halten. Wie viele kleine Trainingsschritte manchmal notwendig sind, davon haben viele erst einmal keine Vorstellung. Kürzlich habe ich in einem anderen Blog (www.markertraining.de) einen Artikel gelesen, in dem es genau darum ging. Wie viele Einzelschritte sind notwendig, um eine Tür zu öffnen? Ich sage es euch: sehr, sehr viele!

zirkus– den Schlüssel ansehen
– das Schloss ansehen, die Hand Richtung Schlüssel ausstrecken
– die Hand Richtung Schlüssel bewegen
– den Schlüssel nehmen
– auf die Tür zugehen
– den Arm heben
– den Schlüssel zum Schloss bewegen
– den Schlüssel ins Schloss stecken…

Du siehst, eine ganze Menge Schritte bis die Tür offen ist. Und jeden Schritt kann man noch in viele kleine Einzelschritte zerteilen.

Die Kunst im Training ist es, sein Training an das Lernverhalten und den Fortschritt des jeweiligen Pferdes anzupassen. Versteht das Pferd etwas nicht, muss ich darauf eingehen und noch kleine Lernschritte machen. Den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, nenne ich dies gerne. Ebenso, wenn das Pferd unmotiviert ist. Steigert man die Anforderung zu schnell bzw. reduziert die Belohnung zu früh, kann ein bereits erlangter Erfolg sehr schnell wieder abschwächen. Auch dann war häufig die Anforderung gemessen an der Belohnung zunächst zu hoch und das Pferd wird unmotiviert. Die Belohnungsrate zu reduzieren oder die Belohnung gänzlich wegzulassen macht erst dann Sinn, wenn die Lektion dem Pferd leicht fällt und die Lektion selbst bereits positiv belegt ist.

Ob ein Pferd letztlich Lust an etwas hat und dabei Freude empfindet, ist letztlich also eine Frage des Trainingsaufbaus und nicht unbedingt der Veranlagung des Pferdes.