Arbeiten unter erschwerten Bedingungen ;)Gehorsamkeit ist uns wichtig! Unbestritten ist, dass unsere Pferde durchaus bis zu einem gewissen Grad funktionieren müssen, wenn wir uns in einem öffentlichen Raum mit ihnen bewegen. Und das ist nun einmal die Regel, denn normalerweise arbeiten wir, abgesehen von der Arbeit innerhalb einer Umzäunung, immer auf weitestgehend ungesichertem Terrain. Dazu kommt, dass selbst die kleinsten Vierbeiner noch mehr auf die Waage bringen als ein durchschnittlicher Mensch und deutlich mehr Kraft haben als unsereins. Wir brauchen also zwingend Regeln, die unser Zusammensein mit dem Pferd in gewisser Weise absichert. Deswegen ist es wichtig, dass wir bei Widersetzlichkeit unserer Pferde handeln und entsprechende Schlüsse ziehen.

Wenn wir von Widersetzlichkeit sprechen, dann sprechen wir stets von Dingen, die wir einmal trainiert haben und von denen wir davon ausgehen, dass das Pferd in der Lage ist, die Signale zu befolgen. Im Alltag sind häufig „Kleinigkeiten“, bei denen wir uns sicher sind, dass wir den Gehorsam des Pferdes einfordern müssen: Das Pferd gibt den Huf nicht, es bleibt nicht stehen oder geht weiter, wenn wir es nicht wollen, statt nach rechts, will es nach links, statt mitzukommen, steckt es einfach den Kopf ins Gras. Wie selbstverständlich wird hier in der Regel das Pferd gestraft oder unter Druck gesetzt und gar nicht weiter darüber nachgedacht. Schließlich hat das Pferd 23 Stunden am Tag Zeit zu tun und zu lassen, was es will, da kann es in dieser Stunde mit uns doch auch einmal tun, was wir wollen. Und wo führe das hin, wenn wir schon solche Kleinigkeiten durchgehen lassen würden …

Warum ist das so? Sind wir ehrlich, würden viele Pferde tatsächlich nicht tun, was sie sollen. Wird das unerwünschte Verhalten nicht durch Druck abgebrochen oder das erwünschte Verhalten durch Druck durchgesetzt, würden sie zunächst einfach damit weiter machen. Ohne das Verhalten zu unterbinden fühlen sich die meisten Pferdebesitzer hier machtlos (und in der Tat geht es hier auch ein wenig um Machtgefüge …), weil sie das Gefühl haben, dem Gutdünken ihrer Pferde ausgeliefert zu sein. Denn es bleibt ihnen – ist das Kind erstmal in den Brunnen gefallen und das Pferd zeigt unerwünschtes Verhalten – zunächst erstmal nichts übrig. Dabei sagt ein vermeintlicher Ungehorsam so viel über den aktuellen Trainingszustand aus. Ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn man sich in einer solchen Situation zunächst nicht anders zu helfen weiß, als Druck (in moderater Form) anzuwenden um die Handlung zunächst zu unterbrechen. Schließlich erfordert diese Form des Umdenkens auch beim Menschen einen Lernprozess. Ich kann jedoch nicht nachvollziehen, dass dies eine Selbstverständlichkeit ist, die häufig unreflektiert hingenommen wird und keine weiteren Folgen für das Training hat.

Es gibt immer eine Alternative im Sinne des PferdesHäufig sehe ich mich mit dem Vorurteil konfrontiert, positives Pferdetraining wäre antiautoritär und Pferde brauchen Grenzen, damit sie und wir uns sicher fühlten. Für jemanden, der sich mit dem Thema positives Training noch nicht auseinander gesetzt hat, ist es in der Tat zunächst schwer zu erfassen, dass man auch bei dieser Form des Trainings sehr wohl Grenzen setzt, diese aber nicht über Druck definiert, sondern über gutes Training. Denn das, was sich in Situationen des Ungehorsams zeigt ist genau genommen das Resultat des Trainings. Denn alles, was das Pferd tun soll, wurde zumindest irgendwann einmal trainiert (das sollte zumindest der Fall sein). Leider besagt eine ungeschriebene Regel, dass bereits trainiertes Verhalten irgendwann zu einer Selbstverständlichkeit wird und auch wie selbstverständlich vom Menschen eingefordert werden kann, wenn das Pferd nicht wie gewünscht „funktioniert“. Doch das ist ein Trugschluss, denn Verhalten, welches nicht mehr verstärkt wird, wird eben auch weniger häufig gezeigt oder sogar „gelöscht“. 

Einer meiner obersten Trainingsregeln lautet: Verlange von deinem Pferd nichts, was du nicht vorher in kleinen Teilschritten positiv auftrainiert hast. Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass ich versuche, Situationen zu vermeiden, die nicht dem aktuellen Trainingszustand entsprechen, wenn ich nicht möchte, dass mein Pferd sich „falsch“ verhält. Das nennt man dann Management. Wenn ich nicht möchte, dass mein Pferd den Kopf ins Gras steckt, solange ich daran nicht trainiert habe, laufe ich nicht über Gras, wenn ich es vermeiden kann. Kann ich es nicht vermeiden, dann muss ich freilich schauen, dass ich die Situation mit so wenig Druck wie möglich löse – das Ideal sieht jedoch anders aus. Möchte ich, dass mein Pferd am lockeren Strick über Gras läuft, dann muss ich vor allen Dingen eines tun: Üben, üben, üben! Denn jede Situation, in der ich durch die Anwendung von Druck deeskalieren oder abbrechen muss, bedeutet ein unentdecktes Trainingsdefizit. Ja, das dauert. Doch es dauert nicht so lange, das man in „Schönheit stirbt“, aber nichts erlebt hat. Denn auch wir werden durch das Training besser. Wir lernen, Situationen besser einzuschätzen und entsprechend zu handeln. Wir lernen die Anforderungen besser zu erkennen und trainieren unsere Weitsicht in Hinblick auf offene Trainingsfragen. Und davon gibt es viele. Jedes Mal, wenn wir Druck anwenden, müssen wir uns an die eigene Nase fassen und überlegen: wo habe ich nicht aufgepasst, was kann ich besser machen, woran muss ich noch arbeiten. Denn unsere Pferde können nicht wissen, was richtig ist, wenn wir es Ihnen nicht erklärt haben. Ohnehin gibt es für das Pferd kein Verständnis von „richtig“ oder „falsch“. 

Wer den Anspruch hat, sein Pferd auf positivem Wege zu trainieren, der muss an sich arbeiten und lernen, auch mal zurück zu stecken, statt von getriebenem Übermut Situationen zu provozieren, in denen nur einer profitiert: Der Mensch. Er muss lernen, umfassend und vorausschauend zu trainieren und kleinschrittig zu arbeiten. Und er muss lernen, Dinge nicht als Selbstverständlich anzusehen, sondern einmal auftrainerte Dinge zu erhalten, indem er sie ab und an trainiert und bei guter Ausführung auch belohnt. Denn wird ein Verhalten gelernt, entscheidet die Motivation darüber, ob das Verhalten auch weiterhin gezeigt wird. Jedes Verhalten hat eine umfangreiche Historie und je öfter sich das Verhalten gelohnt hat, desto wahrscheinlicher wird es auch wieder gezeigt. Lobe ich also nicht regelmäßig, macht es für das Pferd keinen Sinn das Verhalten weiterhin zu zeigen. Das führt schnell dazu, dass man sich in eine unschöne Situation manövriert, weil das Pferd „ganz plötzlich“ den Gehorsam verweigert.

In solchen Situationen gibt es verschiedene Möglichkeiten zu reagieren:

  • Das Signal erneut geben und im Zweifel den Verhaltensansatz bereits belohnen
  • Warten, bis das Pferd das unerwünschte Verhalten unterlässt/damit fertig ist (sofern möglich und sinnvoll)
  • Ein Alternativverhalten abfragen
  • Das unerwünschte Verhalten vermeiden / verhindern
  • Strafen, um das unerwünschte Verhalten zu unterbinden bzw. das gewünschte Verhalten über Druck durchsetzen

Im Idealfall reicht in Situationen, in denen das Pferd „ungehorsam“ ist, das gewünschte Signal noch einmal zu geben. Je nach Situation, kann man auch einen Moment warten und dann jede Annäherung an das Zielverhalten belohnen. Also eine Trainingssituation daraus machen, die für zukünftige Situationen absichert.

RückrufEs lohnt sich, intensiv an einem Signal zu arbeiten, was hochfrequent bestärkt wurde und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch unter Stress oder in Ausnahmesituationen gut funktioniert. Dieses lässt sich dann als Alternativverhalten abfragen, damit das Pferd seinen Fokus wieder auf die gemeinsame Arbeit richtet. Bei mir ist dieses Signal beispielsweise das Handtarget. Beim Präsentieren der geschlossenen Faust oder auf Distanz der gehobenen Hand, soll das Pferd diese mit der Nase berühren. Dies habe ich so häufig und hochwertig belohnt, dass es relativ sicher abrufbar ist. Selbst unter hohem Stress, wie neulich auf der Equitana, hat dieses zuverlässig zur Ausführung geführt. Allerdings sollte man diese Methode sparsam anwenden, da man mit dem Geben eins Signals eben auch das gerade gezeigte Verhalten verstärkt.

Eine weitere Möglichkeit, die allerdings nicht immer ganz ohne Druck auskommt ist, das unerwünschte Verhalten zu unterbinden oder das Pferd daran zu hindern. Oft ist dies auch eine Kombination aus den vorangegangenen beiden Möglichkeiten. Wenn das Pferd seinen Kopf ins Gras steckt, habe ich zwar nicht aufgepasst oder nicht effizient genug trainiert, muss aus dieser Situation aber natürlich auch erstmal wieder heraus kommen. Ich kann dann z. B. das Pferd einfach mit der Nase aus dem Gras nehmen, indem ich ins Halfter fasse und den Kopf anhebe. Selbstverständlich völlig emotionslos und ohne strafenden Hintergedanken (auch wenn wir hier lerntheoretisch von Strafe sprechen, weil wir etwas unangenehmes = Druck am Halfter hinzufügen). Dann nehme ich den Strick so kurz, dass das Pferd die Nase nicht mehr ins Gras stecken kann und gehe aus der Situation heraus – oder trainiere. Ähnlich verhält es sich auch, wenn der Stress zu hoch ist, weil das Pferd Angst oder Schmerzen hat. Ich versuche dann, die unangenehme Situation zu beenden oder den Stress zu reduzieren. Zusätzliche Strafe ist in der Regel nicht notwendig und würde auch nur dann funktionieren, wenn der Strafreiz die Angst oder den Stress überlagert – und dementsprechend noch mehr Stress auslöst.

Das gilt im Übrigen auch für Situationen, in denen wir keine Zeit haben oder aus Instinkt mit Druckaufbau reagieren, denn auch wir Menschen haben eine Art „Oppositionsreflex“. Befinden wir uns in einer Gefahrensituation die Leib und Leben gefährdet (unseres, das anderer Menschen oder Tiere oder das unseres Pferdes) reagieren wir oft unbewusst statt überlegt. Verständlich und manchmal notwendig. In einem solchen Fall befinde ich mich allerdings auch nicht mehr in einer Trainingssituation. In einer solchen Ausnahmesituation trainiere ich nicht, sondern ich deeskaliere– und tue was notwendig ist, um diese Situation für alle Beteiligten zu entschärfen. Selten kommt es zu Situationen, wo ich dann tatsächlich Strafen muss, weil ich mir nicht anders zu helfen weiß (und Strafe ist immer eine Art Ausdruck von Hilflosigkeit). Strafe geschieht immer erst, nachdem das unerwünschte Verhalten schon gezeigt wurde. Wenn das Pferd nach mir schnappt, dann kann ich das auch mit Strafe nicht ungeschehen machen – ich hinterlasse aber ganz sicher Spuren im Geiste. Mein Ansatz zu trainieren ist stets so gestaltet, dass die Pferde keinen Grund haben, derlei aggressives Verhalten zu zeigen. Zeigt das Pferd durch vorangegangene Erfahrungen unerwünschtes Verhalten, kann ich mich darauf einstellen und ggf. Management betreiben – also verhindern, dass das Pferd das Verhalten zeigt oder die Übung so gestalten, dass es „egal“ ist, weil das unerwünschte Verhalten für das Pferd nicht zum Erfolg führt und mir nicht schadet.

Wurde das erwünschte, aber verweigerte Verhalten über positive Verstärkung aufgebaut, ist Druckaufbau (das Signal „fester“ oder „lauter“ geben) die schlechteste Alternative. Schlimmstenfalls können wir das Signal dadurch „vergiften“. Schließlich verbindet das Pferd mit diesem Signal stets etwas Positives und nun wird durch das Signal auf einmal Druck oder sogar Schmerz angekündigt. Die Folge davon kann sein, dass das Verhalten zukünftig gar nicht mehr gezeigt wird.

Grenzüberschreitung sind häufig TrainingsfehlerGrenzen setzen bedeutet zu verhindern, dass das Pferd in Zukunft unerwünschtes Verhalten erneut zeigt. Das ist die Intention, die in der Regel auch hinter der Anwendung von Strafe steht. Betrachten wir die Situation aber isoliert, gibt es immer einen Grund, warum das Pferd so reagiert hat. Es gibt also auch immer eine Möglichkeit, darauf hinzutrainieren, dass das Pferd dieses Verhalten nicht erneut zeigt. Unerwünschtes Verhalten ist häufig selbst provoziert, weil wir die Anforderungen an das Pferd zu hoch setzen oder Situationen falsch einschätzen. Ich muss mich also fragen: was ist passiert, dass das Pferd das Verhalten gezeigt hat. Es ist vor allen Dingen wichtig, welche Schlüsse ich für mich aus solchen Situationen ziehe und was das für mein zukünftiges Training bedeutet. Denn wenn ich nicht handle, lande ich früher oder später erneut in dieser Situation.

Wenn ich also im positiven Training Grenzen setzen möchte, dann muss ich diese ganz klar definieren und einen Plan haben, welche Voraussetzungen dafür vorhanden sein müssen und welche Trainingsziele ich dafür erarbeiten muss. Eine Grenzüberschreitung des Pferdes ist häufig auf Trainingsdefizite oder –fehler zurückzuführen – Extremsituationen mal außen vor, schließlich haben wir es hier mit lebendigen Wesen zu tun (Pferd und Mensch). Je sorgfältiger das Training, desto wahrscheinlicher ist dieses Verhalten auch in anderen Situationen abrufbar und je eher sind mir Alternativen zu Druck und Strafe in Fleisch und Blut übergegangen.

Wer Grenzen über Druck und Strafe einfordern muss, definiert vor allen Dingen seine eigenen Grenzen.