Label sind keine zutreffende Verhaltensbeschreibung

Genauso wie Menschen gerne dazu neigen, nicht immer ganz unvoreingenommen mit Situationen oder anderen Menschen umzugehen, neigen sie auch dazu, ihre Pferde mit einem „Label“ zu schmücken. Statt sich zu überlegen, wie man das Verhalten des Pferdes ändern kann und vor allen Dingen, warum das Pferd nicht mit dem gewünschten Verhalten reagiert, wird dem Pferd gerne ein passender Stempel aufgedrückt, der eine Begründung für die Widersetzlichkeit liefern soll.

Diesen Beitrag gibt es auch als Videobeitrag in meiner Reihe „Sady’s Wohnzimmer“ auf Youtube

Label dienen uns dazu, Verhalten des Pferdes mit einem Begriff zu belegen, der unsere ganz persönliche Einschätzung dem Pferd gegenüber beinhaltet. Label werden vor allen Dingen dann verwendet, wenn ein Pferd nicht reagiert, wie erwartet oder erwünscht.

Angenommen, ich „schicke“ ein Pferd auf den Zirkel hinaus und es widersetzt sich, indem es sich mir zuwendet, vor mir stehen bleibt und wenn ich nun meine Hilfe intensiviere oder wiederhole, legt es die Ohren an.

Man könnte nun sagen, das Pferd ist aggressiv, dominant oder stur. Genauso könnte man aber sagen das Pferd ist unkooperativ, faul oder einfach eine „Zicke“, die oft genug damit durchgekommen ist.

Das sind aber alles nur Vermutungen, die nicht weiterhelfen, wenn man das Verhalten des Pferdes ändern möchte. Möchte man Verhalten ändern, ist es wichtig auch das Verhalten des Pferdes genauer unter die Lupe zu nehmen und zu hinterfragen, warum das Pferd nicht auf das Signal reagiert bzw. warum es Fehlverhalten zeigt.

Gründe, warum Signale nicht ausgeführt werden

Im positiven Pferdetraining gibt es im Großen und Ganzen 3 mögliche Gründe, warum ein Pferd auf ein Signal nicht mit dem entsprechenden Verhalten reagiert:

Wird ein Verhalten nicht ausgeführt, hat dies immer einen GrundEs kann das Verhalten nicht ausführen, weil es ein körperliches Problem damit hat.

Wir wissen nicht, was das Pferd in den 22 Stunden ohne uns so treibt. Vielleicht ist es heute mit seinen Freunden 3 Stunden lang hin und hergerannt. Vielleicht gab es eine Auseinandersetzung in der Herde, so dass es Schmerzen hat oder sich unwohl fühlt. Vielleicht ist es beim Aufstehen in der Box gegen die Boxenwand gestoßen. Wir wissen es nicht! Aber wir sollten immer im Hinterkopf behalten, dass Pferde vor allen Dingen ein Leben ohne uns führen und solche Dinge passieren können.

Es hat das Signal nicht Verstanden!

Habe ich das Signal wirklich in einem positiven Trainingsprozess erklärt? Hat das Pferd das Signal vorher bereits in genau dieser Situation ausgeführt und wenn ja, wie zuverlässig zeigt es das Verhalten sonst? Wenn ich mir nicht sicher bin, macht es Sinn, das Verhalten noch mal etwas detaillierter zu verdeutlichen und ggf. noch einmal einen Trainingsschritt zurück zu gehen, um das Signal zu festigen und dem Pferd so die Möglichkeit zu geben, etwas richtig zu machen, statt frustriert zu sein oder vielleicht sogar mit Gegenwehr zu reagieren.
Pferde lernen kontextbezogen, d. h. schon eine kleine Änderung in der Umgebung, unserer Körperhaltung und –sprache oder sogar des Signals, z. B. einer anderen Betonung, kann zu Missverständnissen führen.

Es ist nicht motiviert!

Der Schlüssel zu zuverlässigem Verhalten ist MotivationEin häufiger Grund für unzuverlässiges Verhalten oder eine „Verweigerung“ ist Motivation. Im positiven Training reagiert das Pferd in Erwartung einer Belohnung auf das Signal. Viele Pferdemenschen neigen dazu, einmal trainiertes Verhalten als Selbstverständlich anzusehen. Fakt ist aber, Verhalten muss sich lohnen. Lohnt sich Verhalten nicht mehr, ganz egal ob ich mit Wegnehmen von Druck reagiere oder mit einer Belohnung, wird das Verhalten auch nicht mehr gezeigt. Gerade beim Ausschleichen von Futterlob neigen viele Pferdebesitzer dazu, die Belohnung zu schnell abzubauen. Solange das Verhalten noch nicht fertig erarbeitet und unter Signalkontrolle gestellt ist, macht das Reduzieren der Belohnung keinen Sinn. Das würde nämlich bedeuten, dass das Pferd weniger belohnt wird, obwohl wir eigentlich eine Leistungssteigerung erwarten. Das kann nicht funktionieren. Das wäre so, als würde euer Chef euch sagen „Frau Müller, nun haben sie ja ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und wissen alles was sie brauchen. Ab sofort arbeiten sie 10 Stunden mehr und kriegen dafür 500 Euro weniger. Kein guter Deal! Selbst für uns leicht aussehendes Verhalten kann für das Pferd Schwerstarbeit sein. Denn was schwer ist und was nicht, das bestimmt das Pferd. Gerenell gilt es immer, die Belohnungsrate und somit auch den Wert der Belohnung zu hinterfragen. Sinkt die Belohnungsrate zu stark, wird das Pferd unmotiviert. Bleibt sie jedoch konstant, obwohl das Pferd das Verhalten schon kennt, kann das auch zu einer Art Gewöhnung führen. Reduziert man dann die Belohnung, kann das dazu führen, dass das Verhalten sozusagen zusammenbricht, weil das Pferd die Belohnung einfordert. Man sollte also generell darauf achten, nicht zu sehr in Belohnungsrhytmen zu verfallen.

Und auch, wenn man dazu übergeht, Verhalten nicht mehr ständig mit Futter zu belohnen, sollte man darauf achten, dass sich das Verhalten auch weiterhin lohnt, indem man zum Beispiel alternative Lobformen anwendet oder darauf achtet, dass man dem Pferd nach einer schwierigen Übung zum Beispiel eine etwas leichtere Lektion anbietet.

Es gibt immer eine Möglichkeit ohne „Mach es trotzdem!“

Richtig trainiert braucht es kein "Mach es trotzdem"Es gibt also jede Menge Möglichkeiten, warum ein Pferd nicht auf ein Signal reagiert und für jede dieser möglichen Begründungen auch eine individuelle Lösung ohne Druck, Androhung von Strafe oder sogar körperlichen Konsequenzen für das Pferd.

Gerade die häufig als dominanten titulierten Pferden sind häufig gar nicht dominant sondern stark verunsichert, weil ihnen das „richtig“ im Repertoire fehlt. Reagiert man darauf mit Druck, führt das häufig dazu, dass sie im Umgang noch unsicherer werden und irgendwann tatsächlich mit Aggression reagieren.
Bevor ihr also das nächste Mal eurem Pferd einen Stempel aufdrückt, denkt doch lieber einmal mehr über das „Warum“ nach. Es gibt immer eine Lösung ohne „Mach es trotzdem!“