liebe1Liebe ist für uns Menschen ein sehr wichtiges „Gut“. Um nicht zu sagen, es ist eines unserer zentralen Grundbedürfnisse: zu Lieben und geliebt zu werden. Selbstverständlich trifft dieses auch auf die Beziehung zu unseren Pferden zu. Auch hier empfinden wir Liebe und Zuneigung für unser Pferd. Viele Stunden in der Woche oder sogar täglich verbringen wir mit unseren Vierbeiner. Doch auch in der Zeit, in der wir nicht beim Pferd verweilen, denken wir über unsere Tiere nach, schwelgen in Erinnerung und erzählen mit verklärtem Blick von ihnen. Sie spielen für jeden von uns eine sehr große Rolle und kaum einer kann sie aus seinem Alltag noch wegdenken. Das Pferd ist zu einem wichtigen Familienmitglied geworden. Mit anderen Worten: wir lieben unser Pferd abgöttisch.

Nicht verwunderlich ist da der Wunsch, auch auf Gegenliebe zu treffen und von unserem Pferd geliebt zu werden. Zugegeben, dieser Artikel beschreibt ein sehr heikles Thema und ich bin mir sicher, dass nicht jeder mit mir einer Meinung ist. In den letzten Jahren habe ich mich sehr tiefgehend mit der Beziehung zwischen Pferd und Mensch auseinandergesetzt. Ich habe durch das Studium der Lerntheorie und viele wissenschaftliche Betrachtungen aus meiner einstigen „Wendyzeit“ in ein für mich sehr realistisches Bild der Beziehung zwischen Pferd und Mensch gefunden. Ein Bild, dass mir nicht immer auch gefällt, denn selbstverständlich habe auch ich den Wunsch, von meinem Pferd geliebt zu werden, so wie auch ich es sehr, sehr liebe.

ZweisamkeitDoch – und ich traue mich kaum in dieser emotionalen, individuellen Angelegenheit hier öffentlich ein Statement abzugeben – wie sieht es mit der Liebe seitens des Pferdes aus? Liebt auch das Pferd uns so, wie wir es lieben? Meine Antwort lautet, so hart das klingen mag: Nein, das glaube ich nicht! Ich glaube nicht, dass Pferde zu einer Definition von Liebe in unserem, menschlichen Sinne fähig sind. Denn dies würde bedeuten, dass Pferd würde seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse hinten anstellen und zu unseren Gunsten Entscheidungen treffen. Ich glaube nicht, dass ein solches Verhalten für ein Flucht- und Herdentier eine gute Eigenschaft ist. Es würde nicht an der Heuraufe stehen und zu seinem Pferdefreund sagen „Hier, ich habe dich so gern, friss du ruhig das letzte Heu, damit wenigstens einer von uns nicht verhungert!“. In letzter Konsequenz, so glaube ich, ist das Pferd sich in erster Linie selbst treu.

Trotzdem sind Pferde meiner Meinung nach dazu fähig, für uns Zuneigung zu empfinden und eine Bindung zu uns aufzubauen. Diese Beziehung ist meiner Meinung nach vor allen Dingen durch viele, angenehme Erfahrungen mit uns geprägt und entstanden. Nüchtern betrachtet könnte man durchaus sagen, sie ist gelernt. Diese Vorstellung klingt sicherlich nicht für jeden reizvoll, spielt jedoch in meiner Trainingswelt eine wichtige Rolle. Ich möchte, dass das Pferd gerne Zeit mit mir verbringt und ich möchte, dass das Pferd in meiner Nähe so viele positive Erlebnisse wie möglich hat. Ich möchte, dass sich das Zusammensein mit mir lohnt. Das ist für mich einer der entscheidenden Punkte mit positiver Verstärkung zu arbeiten und damit auch Futter im täglichen Umgang (nicht nur im Training) als Bestärkung zu nutzen. Denn ich glaube, dass Pferde so etwas wie eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen: Lohnt es sich, oder lohnt es sich nicht? Das gilt nicht nur für bestimmte Lektionen oder Übungen, sondern auch für den Umgang und das Zusammensein. Auch „forderungsfreie Zeit“ ist lohnenswert. Zeit, in der wir einfach nur mit dem Pferd zusammen sind, es „liebhaben“, kraulen und streicheln. Ist dann auch noch das Training bestimmt von vielen, angenehmen Erfahrungen, ist dies eine sehr gute Grundlage für ehrliche Zuneigung.

Zu oft wird das Arbeiten mit positiver Verstärkung und Futter verkannt, weil man dafür belächelt und als „Möhrchengeber“ bezeichnet wird. Es scheint, als hätten wir genau davor Angst, für das Pferd nicht mehr als ein „Futterautomat“ zu sein. Doch es ist unumstritten, dass Liebe auch bei Pferden durch den Magen geht. Futter ist ein so genannter primärer Verstärker, ein Grundbedürfnis. Das Pferd muss nicht erst lernen, dass Futter etwas Angenehmes ist. Somit funktioniert Futter besonders gut als Belohnung.

Selbstbewusste Pferde leben zufriedenerSoziale Bestärkung, wie wir sie als Menschen kennen (zum Beispiel der Stolz einer Mutter auf ihr Kind) spielt meiner Meinung nach keine Rolle in der Pferd-Mensch-Konstellation. Durchaus können jedoch positive Emotionen gegenüber dem Pferd eine bestärkende Wirkung haben. Insbesondere, wenn wir unsere Emotionen mit weiteren Handlungen, wie zum Beispiel Kraulen, Streicheln und dem Einsatz unserer Stimme, unterstreichen, werden sie vom Pferd als belohnend wahrgenommen. Auch das Lösen von Aufgaben, die das Pferd zuvor über positive Verstärkung gelernt hat und die das Pferd gerne ausführt, können eine selbstverstärkende Wirkung haben.

An eine Rangordnung zwischen Pferd und Mensch glaube ich schon lange nicht mehr. Dominanz spielt für mich keine Rolle, denn sie ist meiner Meinung nach nur innerhalb einer Art ein Kommunikationsmittel, also zwischen Pferd und Pferd. So ist es nicht mein Bestreben, Pferde ausschließlich über negative Verstärkung, also Lernen durch das Entfernen von etwas Unangenehmen, auszubilden. Denn ohne den Hintergrund einer Rangordnung zwischen Pferd und Mensch ist dieses für das Pferd eine eher schlechte Kosten-Nutzen-Rechnung, denn es reagiert unter Zugzwang, weil der unangenehme Reiz erst nachlässt, wenn es reagiert. Sicherlich ist Konsequenz und Sicherheit für das Fluchttier Pferd ein sehr, sehr wichtiger Beziehungsfaktor, doch wer sagt, dass diese beiden Faktoren über Druck erarbeitet werden müssen? Ist es nicht mehr wert, wenn das Pferd feststellt, dass sich die Reaktion wirklich gelohnt hat? Diese Vorstellung funktioniert natürlich nur dann für Sie, wenn Sie das Arbeiten mit Belohnung als ehrlich empfinden und nicht der Vorstellung nachhängen, Ihr Pferd müsse Ihre Fragen aus Liebe zu Ihnen mit einer richtigen Antwort quittieren. Wer diese Vorstellung von einer Beziehung hat, verschenkt viel und unterliegt häufig einem falschen Verständnis der Liebe des Pferdes gegenüber uns. Zu schnell gelangt man in eine Spirale, die einem vermeintlich das Recht zugesteht, die Antworten des Pferdes einzufordern.

Denn stellen Sie sich einmal vor, Sie würden Ihren Partner vor die Wahl stellen: „Ja, du kannst gehen, aber wenn du gehst, hat das unangenehme Folgen für dich“ oder „Ich mache dir das Leben so lange schwer, bis du „freiwillig“ bei mir bleibst!“. Für mich ist diese innere Haltung schlichtweg egoistisch und dient keinesfalls der Verbesserung einer Beziehung und auch nicht abhängig davon, wie viel Druck hier zu Grunde gelegt wurde. Es entspricht nliebe2icht meiner Vorstellung von Freiwilligkeit und widerspricht meinem Wunsch nach einer ehrlichen Beziehung gänzlich.

Und doch kann ich es sehr gut verstehen, wenn man dazu neigt, es persönlich zu nehmen, wenn das Pferd eine in unseren Augen falsche Entscheidung trifft. Noch dazu wenn es eine Entscheidung „gegen uns“ ist und das Pferd lieber weiter frisst, statt freudig wiehernd angelaufen zu kommen. Noch heute fällt es mir manchmal schwer, solche Entscheidungen meines Pferdes zu akzeptieren und damit umzugehen. Davon kann auch ich mich nicht immer frei machen. Doch es ist wichtig, trotz dessen vorbehaltlos und freudig dem Pferd gegenüber zu treten. Vielleicht führt dies dazu, dass es sich schon morgen anders entscheidet, wer kann dies schon wissen?

Das Pferd hat durchaus das Recht, „egoistisch“ zu sein, denn so funktioniert das Pferdeleben nun einmal. Für mich bedeutet, Verständnis für die Belange und Bedürfnisse des Pferdes zu haben, eben auch diese Erkenntnis als gegeben zu sehen und zu akzeptieren, dass sich ein Großteil des Pferdelebens darum dreht, die ureigensten Bedürfnisse zu stillen. Was läge da näher, als dem Pferd die Möglichkeit zu geben, ein Bedürfnis nach unserer Nähe zu entwickeln, weil sich die Zeit mit uns stets als lohnenswert und angenehm erweist.