Als Menschen sind wir leider oft darauf gepolt, andere Menschen auf ihre Fehler hinzuweisen. Konstruktive Kritik oder das Aufzeigen von sinnvollen Alternativen fällt uns eher schwer. Wir sind „Fehlergucker“. So ist es nicht verwunderlich, dass wir diese Haltung auch auf unseren Umgang mit dem Pferd übertragen, was häufig den Einsatz eines „Fehlerwortes“ mit sich bringt. Meistens geht es weniger darum, das VerhaltenVerhalten bezeichnet alle äußeren und inneren Aktivitäten eines Lebewesens, die durch Reize aus der Umwelt oder aus dem eigenen Körper ausgelöst werden. Es umfasst sowohl bewusste als auch unbewusste Handlungen... » Weiterlesen durch unangenehme ReizeEin Reiz, häufig auch Stimulus genannt, ist eine äußere oder innere Einwirkung, die ein Lebewesen wahrnimmt und die eine Reaktion auslösen kann, aber nicht muss. Reize können aus der Umwelt... » Weiterlesen zu unterbinden oder abzubrechen, sondern vielmehr darum, dem Tier zu helfen, das richtige Verhalten zu zeigen und FrustrationFrustration ist eine emotionale Reaktion, die auftritt, wenn ein Lebewesen daran gehindert wird, ein erwartetes Ziel zu erreichen oder eine gewohnte Belohnung zu erhalten. Sie entsteht besonders dann, wenn ein... » Weiterlesen zu vermeiden. Der Wunsch, dem Tier zu helfen, ist nachvollziehbar, doch stellt sich die Frage, wie sinnvoll und ethisch vertretbar der Einsatz solcher Signale tatsächlich ist.
Der Einsatz von Fehlerworten: Absicht und Wirkung
Ein Fehlerwort, AbbruchsignalEin Abbruchsignal ist ein vom Trainer verwendetes Signal, das dem Pferd mitteilt, ein aktuelles Verhalten zu beenden oder zu verändern, wenn es unerwünscht oder fehlerhaft ist. Dieses Signal kann verbal,... » Weiterlesen oder auch ein verbales „Nein“ soll das Pferd darauf hinweisen, dass es einen Fehler macht bzw. unerwünschtes Verhalten zeigt. Es soll dafür sorgen, dass das gezeigte Verhalten unterbrochen oder nicht mehr gezeigt wird. Im Idealfall zeigt das Pferd daraufhin ein Alternativverhalten, bestenfalls das erwünschte Verhalten.
Für den Trainer hat ein Fehlerwort seinen Reiz häufig darin, „falsches Verhalten“ des Tieres nicht unkommentiert zu lassen. Oft spiegelt sich dadurch eine gewisse Hilflosigkeit des Trainers wider. Wenn der Trainer keine bessere Lösung für das Problem kennt, möchte er dem Tier eine Information geben, die ihm auf dem Weg zur richtigen Lösung helfen soll. Doch nicht nur Unwissenheit oder Hilflosigkeit sind Ursachen für den Einsatz solcher Signale. Manchmal ist es auch eine bewusste Entscheidung des Trainers, weil er das Gefühl hat, dass ein Fehlerwort das Training aufwertet oder beschleunigt. Nicht selten steht hier sogar der Wunsch im Vordergrund, unnötige Frustration des Tieres zu vermeiden und das Training stressarmer zu gestalten. In manchen Fällen kann es auch die AngstAngst ist eine andauernde Reaktion auf eine vermutete oder unklare Gefahr. Im Gegensatz zu Furcht, die durch eine konkrete Bedrohung ausgelöst wird, kann Angst auch ohne direkten Auslöser auftreten. Sie... » Weiterlesen vor dem Kontrollverlust und der Wunsch nach zusätzlicher Reglementierung sein, weil der Trainer dem vollständigen positiven Ansatz nicht ganz traut. Doch sogar Trainer, die ansonsten ausschließlich mit positiver Verstärkung arbeiten, greifen aus Unkenntnis oder Überzeugung auf FehlerworteEin Abbruchsignal ist ein vom Trainer verwendetes Signal, das dem Pferd mitteilt, ein aktuelles Verhalten zu beenden oder zu verändern, wenn es unerwünscht oder fehlerhaft ist. Dieses Signal kann verbal,... » Weiterlesen zurück.
Nicht immer wird beim Einsatz von Fehlerworten bedacht, dass solche Signale, auch wenn sie gut gemeint sind, in der Regel mit einer Form von Strafe verbunden sind, die in der Praxis eigentlich abgelehnt wird. Um zu verstehen, warum eine Anpassung des Trainings oft sinnvoller ist als der Einsatz zusätzlicher Tools, muss man tief in die Theorie eintauchen und die verschiedenen lerntheoretischen Ansätze genauer betrachten. Dabei stellt sich eine der Kernfragen, ob ein „Nein“ im positiven Training überhaupt eine Berechtigung hat oder sinnvoll ist. Schließlich ist die Grundprämisse des positiven Trainingsansatzes, das Training so zu gestalten, dass ein „Nein“ nicht notwendig ist und das Tier ausschließlich über positives Feedback lernt.
Signale funktionieren durch KonsequenzenEine Konsequenz ist das Ergebnis oder die Folge eines Verhaltens, das sich direkt auf zukünftiges Verhalten auswirken kann. Konsequenzen spielen eine zentrale Rolle in der operanten Konditionierung, da sie darüber... » Weiterlesen
Um zu verstehen, wie Fehlerworte auf lerntheoretischer Basis funktionieren, braucht es Grundwisssen über Signale und Verstärkung. Ein Signal ist ein Hinweis, der das Tier zu einer bestimmten Reaktion anregen soll. Es erhält seine Bedeutung durch die Konsequenzen, die auf das Verhalten des Tieres folgen, wodurch das Verhalten lohnenswerter wird. Im positiven Training bewegen wir uns dabei vorwiegend im Bereich positiver Verstärkung – wir fügen also eine angenehme Konsequenz hinzu in der Erwartung, dass das Verhalten nach dem Signal zuverlässig ausgeführt wird.
Lerntheoretisch betrachtet gibt es ohne Konsequenzen keine Wirkung. Da „Nicht-Kommunikation“ jedoch nicht möglich ist, beinhaltet jedes Fehlerwort immer auch die Ankündigung von Konsequenzen. Fehlerworte, wie „Nein“, sind ebenfalls Signale, da sie dem Tier eine Information darüber geben, dass das gezeigte Verhalten unerwünscht ist und geändert werden soll. Im Unterschied zu SignalenEin Signal ist ein Zeichen oder Reiz, der für das Tier eine Bedeutung hat und ein Verhalten auslöst oder einen emotionalen Status hervorruft. Es zeigt dem Tier an, dass es... » Weiterlesen, die eine Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten darstellen, wie z. B. „Steh“ oder „Komm“, wird ein Fehlerwort verwendet, um ein Verhalten zu unterbrechen, aber nicht direkt ein spezifisches Verhalten anregt. Damit das Signal diese Wirkung erhält, muss es also mit einer Konsequenz verknüpft werden.
Häufig enthält ein solches Signal eine gewisse aversive Komponente, da es – oftmals unbewusst – auch unangenehme Konsequenzen ankündigt. Wie bei uns Menschen auch, führen die Ankündigungen von unangenehmen Konsequenzen zu einer gewissen Skepsis und damit zu VerhaltenshemmungHemmung bedeutet, dass ein Tier ein Verhalten nicht zeigt oder nur zögerlich ausführt, weil etwas es daran hindert. Das kann Angst, Unsicherheit, schlechte Erfahrungen oder ein stärkeres Bedürfnis sein. Ein... » Weiterlesen. Ein Fehlerwort ist also niemals „wertfrei“ für das Tier, sondern löst durch die angekündigten Konsequenzen immer auch eine emotionale Reaktion aus. Diese Reaktion kann, je nach Konsequenz, positiv oder negativ sein.
Wenn ein Signal sowohl angenehme als auch unangenehme Konsequenzen nach sich zieht, kann es dadurch außerdem negativ belastet werden – ein Phänomen, das als „poisoned cue“ (vergiftetes SignalEin Poisoned Cue (vergiftetes Signal) ist ein Lernsignal, das für das Tier mit unangenehmen Erfahrungen verknüpft ist. Es entsteht, wenn ein Signal (z. B. ein Wort oder eine Geste) nicht... » Weiterlesen) bezeichnet wird. In solchen Fällen kann das Signal seine ursprüngliche Funktion als Information verlieren und zusätzlich zu unangenehmen Emotionen wie StressStress ist eine körperliche und emotionale Reaktion auf eine Herausforderung, Belastung oder Bedrohung. Er entsteht, wenn ein Lebewesen eine Situation als herausfordernd oder überwältigend wahrnimmt und sich anpassen muss. Stress... » Weiterlesen oder sogar Angst führen. Statt dem Tier zu helfen, das richtige Verhalten zu zeigen, wird das Signal selbst zur Ursache von Verwirrung und unerwünschten emotionalen Reaktionen
Erst wenn ein Signal mit einer klaren Konsequenz verknüpft ist, wird es für das Tier zu einer Information, die es in seinem Verhalten berücksichtigen kann. Wird ein Signal jedoch inkonsistent oder unklar angewendet, verliert es seine Wirkung und das Tier ist nicht mehr in der Lage, es zuverlässig zu interpretieren. Ein Signal, das sowohl angenehme als auch unangenehme Konsequenzen nach sich zieht, führt dazu, dass das Tier die Bedeutung des Signals nicht mehr korrekt versteht, was zu Verwirrung und unzuverlässigem Verhalten führt.
Wie immer steuern wir durch die Konsequenzen auch zu einem Teil die Emotionen des Tieres in unserem Training und sollten uns dieser Verantwortung bewusst sein.
Fehlerwort mit positiver Strafe – etwas Unangenehmes wird hinzugefügt
Eine sehr häufige Variante im Training ist der Einsatz des „Nein“ (oder eines anderen lauten Geräusches wie „tsch!“ / Zischen oder eines Ausrufs) als Abbruchsignal. Ziel ist es, das Tier dazu zu bringen, sein Verhalten sofort zu unterbrechen und es im besten Fall zukünftig zu vermeiden. Trainer erhoffen sich häufig eine deeskalierende Wirkung, insbesondere wenn sie sich selbst oder das Tier in einer gefährlichen Situation sehen, in der eine sofortige Verhaltensunterbrechung erforderlich ist.
Wird das „Nein“ nicht explizit mit positiver Verstärkung verknüpft, basiert die Wirkung dieses Signals auf positiver Strafe. Das Tier unterbricht sein Verhalten, weil es unangenehme Konsequenzen vermeiden möchte, die unmittelbar folgen könnten. In solchen Situationen reagieren wir Menschen oft weniger reflektiert. Unsere Reaktion fällt selten neutral aus, und das „Nein“ geht häufig mit körperlichen oder körpersprachlichen Konsequenzen einher, die dem „Nein“ eine nachhaltige Bedeutung verleihen.
Im koventionellen Training wird das „Nein“ häufig bewusst gewählt und auch genutzt, aber dessen Konsequenzen häufig unterschätzt. Es wird oft argumentiert, dass das Tier die Bedeutung von „Nein“ auch dann erkennen könne, wenn es nicht explizit mit Bestrafung in Verbindung gebracht wurde, oder dass das Tier das „Nein“ nicht als Strafe empfinde. Doch hier sollten wir uns bewusst machen, dass ein Signal nur dann eine Bedeutung erhält, wenn es mit einer klaren Konsequenz verknüpft ist. Wenn das Tier also auf das „Nein“ reagiert, indem es das Verhalten unterbricht und möglicherweise Anzeichen von Stress oder Beschwichtigung zeigt, dann wird das „Nein“ effektiv durch die Ankündigung einer positiven StrafePositive Strafe (P+) ist eine Methode der operanten Konditionierung, bei der ein aversiver Reiz hinzugefügt wird, um die Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Verhaltens zu verringern. Das Ziel ist, dass das Tier... » Weiterlesen, verbunden mit den entsprechenden Emotionen, seine Wirkung entfalten. Ob es tatsächlich ein Strafe ist, lässt sich in diesem Moment oft nicht feststellen. In jedem Fall aber handelt es sich um einen aversivenAversiv beschreibt etwas, das als unangenehm oder abstoßend wahrgenommen wird und das ein Lebewesen vermeiden möchte. Ein aversiver Reiz kann physisch, sensorisch oder sozial sein. Beispiele: • Ein Pferd kann... » Weiterlesen Reiz.
Fairerweise muss man erwähnen, dass „Nein“ und andere Fehlerworte von vielen Trainern nahezu inflationär verwendet werden, was dazu führt, dass das Tier sein Verhalten oft erst nach mehrfacher Nennung oder sogar gar nicht unterbricht. Dies deutet darauf hin, dass die Konsequenz unklar oder schwammig ist. Wenn das „Nein“ eigentlich bedeutet: „Lass das, sonst …“, dann sollte konsequenterweise auch irgendwann tatsächlich eine Strafe folgen, damit das Signal seine Wirkung behält. Denn wie bereits gesagt: Keine Konsequenz bedeutet langfristig auch keine Reaktion und das Tier stumpft ab. In vielen Fällen wird der Trainer bei wiederholtem Verhalten lauter und bedrohlicher oder geht auf das Tier zu, was bedeutet, dass nicht mehr das Signal selbst, sondern die damit verbundenen weiteren Konsequenzen das Verhalten beeinflussen. In diesen Anwendungsfällen fungiert das „Nein“, sei es auch noch so informell gedacht, als „letzte Warnung“. Wie effektiv das ist, kennen wir vielleicht aus eigener Erfahrung, in dem ein bestimmter Tonfall oder das Aussprechen unseres vollständigen Namens uns mitteilen, dass wir in Schwierigkeiten sind, weil wir eine unliebsame Aufgabe immer weiter aufgeschoben haben.
Grundsätzlich gilt, sowohl für positives, als auch für konventionelles Training: Positive StrafeSiehe Strafe, positive. » Weiterlesen, also das Hinzufügen unangenehmer Konsequenzen als Reaktion auf ein (Fehl-)Verhalten, gehört nicht in einen Trainingsprozess. Bestenfalls kann man auch im Umgang weitestgehend darauf verzichten. Ein „Nein“, selbst wenn es nur eine milde Form der Strafe ist, führt zu „Hemmung“. Das bedeutet, dass es nicht nur das gezeigte Verhalten des Tieres beeinflusst, sondern auch alternative Verhaltensweisen unterdrückt. Im schlimmsten Fall überlässt man das Tier seiner Hilflosigkeit, weil es sich nicht traut, etwas anderes auszuprobieren, aus Angst, für seine Bemühung bestraft zu werden.
Ein Tier zeigt kein „falsches“ Verhalten. Verhalten ist aus Sicht des Tieres immer „richtig“, sonst würde es nicht gezeigt werden. Ein Verhalten, das wir als „falsch“ empfinden, hat aus der Perspektive des Tieres oft eine Funktion oder dient einem Ziel. Daher ist es wichtig, das Verhalten nicht zu bestrafen, sondern durch gezielte Trainingsmethoden zu lenken und das Tier zu ermutigen, alternative Verhaltensweisen zu zeigen.
Der No-/Non-Reward-Marker (NRM) – Das Verhalten führt jetzt und auch in Zukunft nicht zu einer BelohnungEine Belohnung ist eine Konsequenz, die vom Tier als angenehm empfunden wird, aber nicht zwingend dazu führt, dass das vorherige Verhalten häufiger auftritt. Umgangssprachlich wird Belohnung oft mit Verstärker gleichgesetzt-... » Weiterlesen
Ein No-Reward-Marker (NRM)Ein No-Reward-Marker (NRM) ist ein Signal, das dem Tier anzeigt, dass das gerade gezeigte Verhalten weder jetzt noch in Zukunft zu einer Belohnung führt. Dieses Signal kann verbal, wie ein... » Weiterlesen wird verwendet, um dem Tier zu signalisieren, dass ein gezeigtes Verhalten nicht zu einer Belohnung führen wird – nicht jetzt und auch nicht in Zukunft. Verwendet werden dafür in der Regel neutrale, kurze Wörter oder Geräusche wie z. B. „Äh-äh“ oder „Schade“.
Konditioniert wird dies, indem nach der Nennung des NRM eine angenehme Konsequenz entzogen wird. Die in Aussicht gestellte Belohnung bleibt aus oder wird sogar aktiv entfernt. Für korrektes Verhalten erfolgt weiterhin eine Belohnung. Mit der Zeit sollte das Pferd das NRM mit dem Entzug oder Vorenthalten der Belohung verknüpfen und genau da beginnen die Probleme: Durch die Ankündigung einer negativen StrafeNegative Strafe oder negative Bestrafung (P-, negative Punishment) bedeutet, dass etwas Angenehmes entzogen oder vorenthalten wird, um die Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Verhaltens zu verringern. Das Pferd verliert eine bereits erhaltene... » Weiterlesen wird dieses Signal nämlich zu einer positiven Strafe. Der Entzug oder Vorenthalten einer Belohnung geht lerntheoretisch mit unangenehmen Emotionen einher. Durch die Verknüpfung mit einem Signal wird mittels klassischer Konditionierung diese Emotion an das Signal gekoppelt, so dass das Signal am Ende dieselben Emotionen auslöst, wie der Entzug der Belohnung. Da das Signal als Konsequenz auf ein Verhalten folgt und dementsprechend hinzugefügt wird, ist es als positive Strafe einzuordnen, wenn es als Konsequenz das Verhalten hemmt.
Das Prinzip lässt sich sehr simpel in Form eines „Fehlerbuzzers“ beschreiben. Wird in einer Spielshow eine falsche Antwort von einem „Buzzerton“ begleitet, der das Ausbleiben der erwarteten Belohnung (jetzt und auch in Zukunft) signalisiert, reicht eine einzige Anwendung des Buzzers aus, um dessen Bedeutung nachhaltig zu konditionieren. Er führt dazu, dass unmittelbar beim Ertönen des Buzzers ein unangenehmes Gefühl eintritt und häufig auch dazu, dass weitere Antworten mit mehr „Bedacht“ und Skepsis aus Sorge um den Verlust begleitet werden. Nun kann man sicher damit argumentieren, dass die Belohnung ja nicht vollständig weg ist und der Buzzer einem die Gelegenheit bietet, seine Antwort neu auszurichten, aber seien wir mal ehrlich: im Moment des Buzzertons fühlt es sich alles andere als gut an und man möchte das Tier eigentlich nicht in eine solche Situation bringen.
Das NRM unterstützt das Tier nicht bei der Suche nach einem anderen Verhalten, sondern führt lediglich im „Ausschlussverfahren“ dazu, dass das Tier vielleicht eine andere Lösung anbietet. Es mag Situationen geben, in denen das hilfreich erscheint, die Wirkung ist jedoch fraglich. Es hält keine neuen Informationen, was es stattdessen tun kann, bereit, und von daher frage ich: Was hilft es dem Tier, wenn ich sage „Schade, das war es nicht…“ Zudem wirkt Strafe, egal ob positiv oder negativ, stets hemmend auf das Gesamtverhalten und führt zu Frustration und Verunsicherung.
Auch das Argument, dass das NRM dem eigenen Tier scheinbar helfe, sollte genauestens geprüft werden. Hilft es dem Tier oder hilft es nur dem Menschen, der sich in dem Moment „besser“ fühlt. Kommt die Verhaltensänderung tatsächlich durch denn erwarteten Effekt des NRM zu Stande, oder durch die Verhaltensänderung des Trainers, oder beruht die Wirkung sogar auf Stress als Reaktion durch das NRM? In jedem Fall gilt: reagiert das Tier mit Verhaltensabbruch auf das NRM, wirkt es sich hemmend auf das Verhalten aus, was wiederum nur dann der Fall ist, wenn es sich lerntheoretisch um eine Strafe handelt. Warum es sich hierbei um eine positive Strafe und nicht um eine erwartete negative Strafe, wurde bereits erläutert. Sicherlich wird ein ansonsten positiv trainiertes Tier in einer solchen Situation keinen dauerhaften Schaden erleiden, aber grundsätzlich gilt auch hier: Eine Anpassung des Trainings sollte immer Vorrang vor Strafe haben.
Doch die Anwendung birgt noch weitere „Fallstricke“, die ein Überdenken notwendig machen. Wende ich das NRM bereits nach dem ersten Fehlversuch an, dämpfe ich die MotivationMotivation ist der innere Antrieb, der ein Lebewesen dazu veranlasst, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Sie entsteht durch die Erwartung, ein Bedürfnis zu befriedigen oder eine Konsequenz zu vermeiden. Motivation... » Weiterlesen des Tieres direkt zu Beginn, dabei soll es ja eigentlich nach einer Lösung suchen. Liegt das Tier beim nächsten Versuch nach dem NRM ebenfalls wieder falsch, muss eigentlich eine Trainingsunterbrechung erfolgen, damit die Wirkung des NRM aufrechterhalten wird. In der Praxis wird das Training jedoch häufig weitergeführt und die Nennung des NRM bei einem erneuten Fehlverhalten wiederholt, statt das Training zu unterbrechnen. Hier zeigt sich, dass die Anwendung in der Praxis gar nicht so einfach ist.
Denn es bleibt dabei: ein Signal wirkt, weil es Konsequenzen ankündigt. Würde in weiteren Versuchen nach Nennung des NRM die angekündigte Konsequenz ausbleiben, würde sich das Training nicht vom herkömmlichem Training ohne NRM unterscheiden und man kann sich die Nennung und den Aufbau des NRM grundsätzlich sparen, was im Übrigen ganz klar meine Empfehlung ist. Insbesondere, wenn wir dem Tier eigentlich mitteilen möchten „Mach etwas Anderes“, sollten uns im positiven Training andere Mittel zur Verfügung stehen, als das Verhalten durch „Hör damit auf“ zu unterbrechen. Darüber hinaus sollte das Training so aufgebaut sein, dass es nicht zu einer Häufung von Fehlversuchen im Trainingsprozess kommt. Ansonsten stimmt etwas grundlegend nicht.
Keep-Going-Signal (KGS)Ein Keep-Going-Signal (KGS) ist ein, das dem Pferd mitteilt, dass es das Zielverhalten bereits zeigt und weiterhin zeigen soll, bis es am Ende eine Belohnung erhält. Es verspricht also die... » Weiterlesen und Intermediäre Brücke (IBM)Eine Intermediäre Brücke (IBM) ist eine Form des Verlaufslobs, das dem Pferd zeigt, dass es sich dem Zielverhalten nähert, dieses aber noch nicht vollständig zeigt. Es dient dazu, das Pferd... » Weiterlesen
„Eigentlich fallen diese beiden Varianten nicht unter „Abbruchsignale“, sondern sollen genau das Gegenteil bewirken. Das Keep-Going-Signal (KGS) sagt dem Tier, dass es bereits das ZielverhaltenZielverhalten ist das gewünschte Endverhalten, das ein Lebewesen durch Training oder Lernen zeigen soll. Es ist das Verhalten, das durch gezielte Verstärkung geformt oder gefestigt wird. Ein klar definiertes Zielverhalten... » Weiterlesen zeigt und dieses aufrecht erhalten soll, bis es den sekundären VerstärkerEin Verstärker ist ein Reiz oder eine Konsequenz, die die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens erhöht. In der operanten Konditionierung unterscheidet man zwischen positiven und negativen Verstärkern. Ein positiver Verstärker ist... » Weiterlesen (Click) und schließlich den primären VerstärkerEin primärer Verstärker ist eine Belohnung, die für das Pferd von Natur aus angenehm und biologisch bedeutsam ist, wie Futter, Wasser oder Sozialkontakt zu anderen Pferden. Da ein primärer Verstärker... » Weiterlesen (Futter) erhält. Die intermediäre Brücke (IBM) soll dem Tier mitteilen, dass es sich nahe dem Zielverhalten befindet und weiter nach der richtigen Lösung suchen soll, bis es auch hier den sekundären und primären Verstärker erhält.
Im Gegensatz zum No-Reward-Marker (NRM), der im angewandten positiven Training nur sehr selten genutzt wird, hört man diese beiden Begriffe häufiger. Auch hier handelt es sich nicht um feststehende, wissenschaftliche Begriffe, weshalb man deren Aufbau genau unter die Lupe nehmen muss, da es sogar vorkommen kann, dass diese beiden Begriffe miteinander verwechselt oder ausgetauscht werden.
Während das NRM durch die Ankündigung einer (negativen) Strafe wirkt, erhalten KGS und IBM ihre Wirkung dadurch, dass sie den primären Verstärker ankündigen, also in Aussicht stellen, und das Tier so zum „Durchhalten“ motivieren. Warum diese beiden Varianten trotzdem ihren Platz in dieser Auflistung erhalten, liegt an der Ähnlichkeit zum NRM. Denn wie beim NRM erfolgt auch bei KGS und IBM keine sofortige Verstärkung, sondern das Tier muss weiterhin Verhalten zeigen, bis es die Belohnung erhält.
Das Keep-Going-Signal wird klassischerweise eingesetzt, wenn das Tier die Dauer eines Verhaltens steigern soll. Ein Beispiel hierfür wäre der Aufbau eines stationären Targets, bei dem das Tier weiterhin „kleben“ soll, solange das KGS ertönt, bis darauf zunächst der sekundäre VerstärkerEin sekundärer Verstärker ist ein Signal, das für das Pferd anfangs keine Bedeutung hat, aber durch Lernen mit einer Belohnung verknüpft wird. Im Clickertraining ist das Klickgeräusch ein typisches Beispiel.... » Weiterlesen (Click) und dann der primäre Verstärker (z. B. Futter) erfolgt. Es sagt dem Tier: „Genau dieses Verhalten führt dich zum Ziel, zeige jetzt kein anderes Verhalten.“
Die intermediäre Brücke wird oft dann angewandt, wenn das Tier kurz davor ist, das Zielverhalten zu erreichen, ähnlich wie das „warm“ beim Kinderspiel Topfschlagen. Sie soll das Tier dazu motivieren, weiter nach der Lösung zu suchen. Wer schon mal Kinder beim Topfschlagen beobachtet hat, weiß, dass die gewünschte Reaktion ein besonnenes Überlegen ist, dieses aber oft in überschwänglichem „Draufhauen“ resultiert.
Ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr ins Detail gehen, ob und inwiefern beide Varianten im Training sinnvoll sind, sondern nur kurz auf die Schwierigkeiten eingehen, die der Einsatz mit sich bringt.
Der Einsatz beider Signale macht grundsätzlich nur dann Sinn, wenn man sich sicher ist, dass das Tier nach dem Einsatz des KGS oder IBM auch das gewünschte Zielverhalten zeigt, sodass die positive VerstärkungSiehe Verstärkung, positive, » Weiterlesen erfolgen kann. Schwierig wird es jedoch, wenn dies nicht der Fall ist. In diesem Fall müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden, und dies führt häufig zu einem Abbruch des Versuchs, ohne dass die Bemühungen des Tieres honoriert werden. Hier zeigt sich, wie nah diese beiden gut gemeinten Varianten dem NRM kommen und wie schnell ihre Wirkung schwammig werden kann. Werden KGS und IBM häufig und ohne Bedacht eingesetzt, weil man hofft, dass das Tier doch noch die richtige Antwort findet, kündigen sie sehr bald keine positive VerstärkungPositive Verstärkung (R+) ist eine Methode der operanten Konditionierung, bei der ein angenehmer Reiz hinzugefügt wird, um die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens zu erhöhen. Das Tier lernt, dass ein bestimmtes... » Weiterlesen mehr an, sondern das Ausbleiben des Verstärkers.
Unterm Strich sollte man also bei allen drei Varianten – No-Reward-Marker, Keep-Going-Signal und Intermediäre Brücke – im Hinterkopf haben, dass es sich hier um sehr komplexe Trainingstools handelt, deren Anwendung hinterfragt werden sollte, da sie sehr schnell eine unerwünschte Entwicklung mit sich bringen können, die häufig nicht bedacht wird.
Abbruchsignal / Alternativverhalten mit positiver Verstärkung
Grundsätzlich kann dem Wunsch nach einem Abbruchsignal auch im positiven Training entsprochen werden. Eine Möglichkeit, ein Abbruchsignal zu trainieren, ist das Erlernen eines Alternativverhaltens. Das bedeutet, dass das Tier durch ein anderes Verhalten eine Belohnung verdienen kann, während das gerade gezeigte Verhalten nicht verstärkt wird. In diesem Fall funktioniert das Abbruchsignal, weil es mit einem Alternativverhalten verknüpft ist, das dem Tier bereits bekannt ist. Idealerweise sollte es sich hierbei um ein Verhalten handeln, das „bombenfest“ sitzt und auch unter AblenkungAblenkung bezeichnet im Training eine Störung oder Reizeinwirkung aus der Umgebung, die die Aufmerksamkeit des Tieres von der aktuellen Aufgabe ablenkt. Ablenkungen können visuell (z. B. Bewegungen), akustisch (Geräusche), taktil... » Weiterlesen zuverlässig gezeigt wird, wie beispielsweise „Halt“ oder „Stopp“. Auch ein „Nein“ kann als Signal für ein Alternativverhalten dienen, wenn es richtig eingesetzt wird. Allerdings rate ich eher davon ab, da es schwierig ist, „Nein“ ausschließlich in einem bewusst kontrollierten Trainingssetting zu verwenden.
In der Theorie ist es eine gute Idee, dem Tier zu sagen, was es tun soll, wenn es etwas tut, das gerade nicht erwünscht ist. Zum Beispiel sagen wir „Steh!“, wenn das Pferd zappelt, oder „Schau weg!“, wenn es die Nase in der Tasche hat. Bei einem Hund verwenden wir „Bei Fuß“ oder „Hier“, wenn er sich entfernt oder einem Hasen nachjagt. Ziel ist es, erwünschtes Verhalten zu belohnen, statt unerwünschtes zu unterbinden. Allerdings gibt es hier eine wichtige Hürde: Ein Signal und das Verhalten, das mit positiver Verstärkung trainiert wurde, wirken ebenfalls verstärkend. Das bedeutet, dass das Verhalten, welches das Tier im Moment der Signalgabe zeigt, positiv verstärkt wird – durch das Signal, das nachfolgende Verhalten und den Verstärker. In der Praxis kann es so leicht passieren, dass wir mit der besten Absicht das Problem verschlimmern, anstatt es zu verbessern, und das unerwünschte Verhalten sogar häufiger zeigen lässt.
Das Gute daran ist, dass es irgendwann deutlich wird, dass wir uns in einer Trainingssituation befinden, in der Verhalten offensichtlich positiv verstärkt wird. Dies zeigt, dass das Tier in dieser Situation noch nicht überfordert ist und tatsächlich in der Lage ist zu lernen. Wenn wir es mit gefährlichem Verhalten zu tun haben, das zuvor so reaktiv war, dass Training nicht möglich war, haben wir bereits eine verbesserte Ausgangslage geschaffen. Doch auch wenn diese Entwicklung einen Fortschritt darstellt, ist es nicht das gewünschte Ziel. Manchmal ist es jedoch das einzige, was wir zu diesem Zeitpunkt erreichen können.
Im Wesentlichen lässt sich sagen, dass mit jedem positiv trainierten Signal das Abbrechen eines anderen Verhaltens bewerkstelligt werden kann. Von allen genannten Varianten ist dies auch meine Empfehlung, um Verhalten zu beenden, wenn es droht, aus dem Ruder zu laufen. Hier hat das Tier eine klare Anweisung: „Tu genau dies, das ist die Option auf Verstärkung für dich!“ In brenzligen Situationen kann man sich eine Verschnaufpause verschaffen, indem man das gezeigte Alternativverhalten verstärkt, bis man die Situation entschärft hat oder eine Lösung anbieten kann. Bis man einen konkreten Trainingsplan hat, der für das Tier Alternativen zum Fehlverhalten beinhaltet, sollte man das Training so gestalten, dass das unerwünschte Verhalten möglichst gar nicht gezeigt wird – auch wenn dies zunächst bedeutet, das Training vorübergehend zu unterbrechen.
Ein „Click“ selbst kann bereits als „bombensicheres Signal“ dienen, da er in der Regel viele Male mit einer Belohnung verknüpft wurde und in den meisten Fällen auch dazu führt, dass das Tier stoppt. In kritischen Situationen, in denen es um „Leben und Tod“ geht, kann der Click dazu beitragen, das Tier „zurückzuholen“. Ob das Fehlverhalten in solch stressigen Situationen tatsächlich verstärkt wird, ist fraglich. Wenn der Click jedoch dazu beiträgt, dass das Tier wieder ansprechbar wird, ist er in jedem Fall eine wertvolle Option.
Für den gezielten Einsatz in einem Trainingssetting eignet sich ein solches Abbruchsignal eher nicht, da das unerwünschte Verhalten hier ziemlich sicher verstärkt werden würde, statt dem gewünschten Verhalten näher zu kommen. Hier hat eine Neustrukturierung des Trainings als Lösung absolut Vorrang.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Trainieren eines Alternativverhaltens als Abbruchsignal sinnvoll ist und es dem Trainer ermöglicht, das Training „zurückzusetzen“ und neu zu starten. Es sollte jedoch nur in Ausnahmefällen verwendet werden, wenn das Training im Moment eines Fehlverhaltens nicht weitergeführt werden kann. Ziel sollte es immer sein, das Training zu überdenken und solche Situationen zukünftig zu vermeiden, um eine ungewollte Verstärkung des Fehlverhaltens zu verhindern.
Advanced training is just the basics done really well
Nun könnte man denken, dass positives Training kompliziert ist und für Einsteiger kaum umsetzbar. Tatsächlich kann Training mit positiver Verstärkung zu Beginn komplexer erscheinen, weil es sich so stark von herkömmlichen Trainingsmethoden unterscheidet. Kompliziert wird es jedoch erst, wenn man es kompliziert macht. Anstatt immer wieder auf neue Trainingstools zurückzugreifen, sollte der erste Schritt immer darin bestehen, das eigene Verhalten als Trainer zu überdenken. In diesem Zusammenhang finde ich das Zitat von Ken RamirezKen Ramirez ist eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im Bereich des modernen Clickertrainings. Mit über 50 Jahren Erfahrung in der Tierpflege und -ausbildung hat er die Prinzipien der positiven Verstärkung kontinuierlich... » Weiterlesen sehr passend: „Advanced training is just the basics done really well.“
Wenn die (drohende) Frustration oder Sorge, sei es beim Tier oder beim Trainer, so hoch ist, dass sie durch ein „Fehlerwort“ oder einen wiederholten Verhaltensabbruch kommuniziert werden muss, sollte man „back to the roots“ gehen – zurück zu den grundlegenden Trainingsprinzipien, statt nach komplexeren Lösungen zu suchen. Ein Fehler ist immer eine wertvolle Information darüber, was das Tier schon kann und was nicht. Fragen wie „Warum hat mein Tier keine andere Idee?“ oder „Wie kann ich mein Tier besser unterstützen?“ sind hier entscheidend. Ebenso sollte man sich fragen: „Welche weiteren Informationen kann ich dem Tier geben, die die richtige Entscheidung erleichtern?“ Oder: „War der Trainingsschritt vielleicht zu groß? Wie kann ich kleinere, besser verständliche Schritte einbauen?“
Vielleicht fühlt es sich anfangs ungewöhnlich an, nicht sofort auf einen Fehler einzugehen. Für das Tier ist jedoch die Information, dass es einen Fehler gemacht hat, zunächst nicht relevant. Aus der Perspektive der Verhaltensökonomie gilt, dass Verhalten, das sich nicht lohnt, weniger häufig gezeigt wird – genau das ist es, was wir mit positiven Verstärkungsmaßnahmen erreichen möchten. In den meisten Fällen reicht es also aus, den Fehler des Tieres für den Moment zu ignorieren und stattdessen das Training anzupassen. Das Ziel ist, dass der Fehler idealerweise gar nicht mehr auftritt und das Tier stattdessen das gewünschte Verhalten zeigt.
Dies bedeutet auch, die eigenen Emotionen und Wünsche im Training vorübergehend zurückzustellen und gegebenenfalls das Training zu unterbrechen, um die Situation aus etwas Abstand zu betrachten und den Plan anzupassen. Wenn das Tier immer wieder die gleichen Fehler macht, hat es schlichtweg keine andere Lösung. Die Verantwortung für die Lösung liegt immer beim Trainer – nie beim Tier!“