Pferde haben kein Schamgefühl - ihre Reaktionen sind somit immer natürlich

Pferde haben kein Schamgefühl – ihre Reaktionen sind somit immer natürlich

Achtung, dieser Artikel entspricht ggf. nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft und bedarf einer Überarbeitung!

Immer wieder werde ich darauf angesprochen, dass mein Wallach bei der Arbeit seinen Schlauch „hängen lässt“ und ausschachtet. Oft bekomme ich auch Mails von Pferdebesitzern, die sich fragen, wie sie damit umgehen sollen und welche Bedeutung sie dem zu bemessen haben. Da das Thema immer wieder zur Sprache kommt, widme ich meinen heutigen Artikel dem Thema.

Eine wissenschaftliche Erklärung findet sich zu dem Thema nicht, aber ich habe durchaus meine eigene Theorie, wie es dazu kommt. Ich erhebe damit also ausdrücklich keinen Anspruch auf wissenschaftliche Richtigkeit oder Vollständigkeit.

Grundlagen des vegetativen Nervensystem

Das Ausschachten – egal, ob es sich nun um einen Entspannungs- oder Erregungszustand handelt – wird vom vegetativen Nervensystem gesteuert, welches aus dem Sympathikus, dem Parasympathikus und dem entrischen Nervensystem besteht.

Der Sympathikus steuert dabei den Fluchtreflex; Adrenalin wird ausgeschüttet, es erhöht die Herz- und Atemfrequenz, reguliert die Verdauung herunter und regt die Durchblutung an. Es versetzt den Körper des Pferdes also in Fluchtbereitschaft und erhöht die Handlungsbereitschaft auf äußere Einflüsse.

Der Parasympathikus übernimmt als Gegenspieler genau das Gegenteil. Neurotransmitter sorgen dafür, dass der Körper sich regeneriert und das Pferd sich sowohl körperlich als auch mental entspannt. Die Verdauung wird angeregt, die Herz- und Atemfrequenz sinkt.

Der dritte Teil des vegetativen Nervensystems, das enterische Nervensystem, ist für die Verdauung zuständig und für unsere Ursachenforschung weniger wichtig.

Aktiv sind stets alle Teile des vegetativen Nervensystems, die Körperfunktionen und das Ausmaß der Handlungen werden jedoch davon beeinflusst, welcher Teil aktiver angesprochen wird.

Ursachenforschung

Die Aktivierung des Parasympathikus und das Eintreten von Entspannung stehen hierbei in symbiotischer Verbindung, das bedeutet, entspannt das Pferd sich bei Übungen, die mit Ruhe, aber auch mit Freude einhergehen, also hat das Pferd bei Spaß bei der Arbeit, wird der Parasympathikus aktiviert und sorgt für die oben genannten Effekte. Nur bei vorherrschendem Parasympathikus kann das Training effektiv und nachhaltig sein und vom Pferd als positiv wahrgenommen werden. Verständlich, dass das Pferd die Arbeit mit Futter als besonders angenehm wahrnimmt (sofern sie richtig gestaltet ist). Denn während Entspannung durch die Aktivierung des Parasympathikus die Verdauung anregt und damit die Bereitschaft zur Nahrungsaufnahme herstellt, führt die Arbeit mit positiver Verstärkung durch Futterlob ebenfalls zu einer vermehrten Aktivität des Parasympathikus.

Der Parasympathikus ist auch vorherrschend, wenn es um das Harnabsatzverhalten und (sexuelle) Erregung geht. Nur ein nervlich entspanntes Pferd ist in der Lage, auszuschachten, da die für das Ausschachten und die Mehrdurchblutung  verantwortliche Muskulatur im Normalzustand durch den Sympathikus unter Spannung gehalten wird. Wird der Parasympathikus nun aktiviert, sorgt das also auch für die Entspannung der so genannten „glatten Muskulatur“ im Pferdepenis. Diese Entspannung der glatten Muskulatur sorgt je nach hormoneller Konstitution des Pferdes für ein entspanntes Ausschlauchen oder sogar eine (zumeist mäßige) Erektion des Pferdes. Während die meisten Wallache eher entspannt ausschlauchen, kann man bei hengstigen und spät gelegten Wallachen oder bei Hengsten häufig auch einen Erregungszustand bemerken. Der Fluchtreflex ist hierbei in den Hintergrund geraten und das Pferd befindet sich in einem emotionalen Zustand von Vertrauen und Losgelassenheit. Manchmal kann man sogar ein freudiges Brummeln in Erwartung des Lobes oder Übungen, die das Pferd besonders gerne ausführt, vernehmen. Das Ausschachten des Pferdes kann bei einem emotional entspannten Pferd also als unbedenklich betrachtet werden, da u. a durch das vorherrschen des parasympathischen Nervensystems in der Regel auch kein Aggressionspotential besteht.

Stress und Erregungszustände

Nicht außer Acht lassen sollte man bei all den wissenschaftlichen Erklärungen jedoch den Gemütszustand des Pferdes. Meine Annahme der Entspannung und der Aktivierung des parasympathischen Nervensystems ist nicht grundsätzlich eine Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Unter Umständen kann auch bei der Arbeit mit positiver Bestärkung ein hohes Maß an Stress entstehen, weil das Pferd zum Beispiel gewisse Dinge noch nicht verstanden hat und seine Gelassenheit verliert.

Bei Stress wird der Gegenspieler des parasympathischen Nervensystems, der Sympathikus, aktiviert. Die Folgen davon habe ich bereits oben aufgeführt: das Pferd wird in Alarmbereitschaft versetzt und es führt zu einer vermehrten Adrenalinausschüttung und teilweise sogar zu einer verminderten Kontrolle körpereigener Impulse.

Dies zeigt sich zum Beispiel durch Nervosität und das Zeigen von Aggression, Unmut oder auch Übersprunghandlungen (Beißen ist z. B. häufig eine solche „Ersatzhandlung“). Man hat das Gefühl, das Pferd hat sich nicht mehr richtig im Griff und man selbst verliert ein wenig die Kontrolle – und Stress sorgt unter anderem tatsächlich dafür, dass bestimmte Vorgänge vom Pferd nur noch schwer kontrollierbar sind. Hierzu gehört insbesondere die Impulskontrolle, also das kontrollierte, nicht impulsive Handeln. Häufig werden diese Anzeichen von Stress auch als Übermotivation verstanden, weil das Pferd bettelt oder unaufgefordert eine Reihe von Lektionen anbietet, dabei ist es in Wirklichkeit einfach nur hochgradig gestresst. Im schlimmsten Falle entwickelt das Pferd hierbei sogar aggressives Verhalten und bedrängt den Menschen. Auch kann es hierbei durchaus zu einem Zustand sexueller Erregung kommen, was für entspanntes Arbeiten kontraproduktiv ist und ähnliche Begleiterscheinungen mit sich bringt. Ausdrücklich keine Rolle spielt bei einem solchen Verhalten des Pferdes das Infrage stellen einer etwaigen Rangordnung oder das dominieren wollen des Menschen.

In einem solchen Fall sollte man sein Training durchaus kritisch hinterfragen um die Ursache, also den stressauslösenden Faktor, zu beseitigen. In jedem Fall sollte das Training in einem solchen Fall unterbrochen werden und Übungen, die das Pferd entspannen oder ihm Bewegung verschaffen (Adrenalinabbau) abgerufen werden.

Typische Stressauslöser

Typische Ursachen für Stress bei der Arbeit mit positiver Verstärkung sind zum Beispiel

  • zu wenig oder nicht gut gestaltete Pausen
  • mangelndes Verständnis des Pferdes in Bezug auf Futterdisziplin (Nur höfliches Verhalten wird belohnt, ein bettelndes Pferd hat nicht verstanden, dass Betteln und Bedrängen nicht notwendig ist)
  • schlechte Signalkontrolle (Lektionen werden selbständig und ohne Aufforderung gezeigt)
  • nicht angemessene Belohnungen (z. B. zu hochwertiges Futter bei sehr „hungrigem“ Pferd)
  • äußere Einflüsse, die Stress verursachen (Schmerz, Ausrüstung, Umgebung etc.)
  • zu hohe Anforderungen oder unangemessenes Strafen und damit einhergehender Frust

um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Meistens passierte diese Wandlung von Entspannung zu Stress nicht binnen Sekunden sondern eher schleichend, das Pferd wird also zunehmend gestresster (im Laufe der Zeit oder innerhalb der Einheit).

Es ist also absolut notwendig, den Gemütszustand des Pferdes bei allem, was wir mit ihm tun und erleben, zu berücksichtigen und seine eigene Wahrnehmung zu schulen um etwaige Trainingsschwächen aufzudecken und dem Pferd die Arbeit mit uns stets angenehm und fair zu gestalten.